Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (126-S.341-344)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Sevilla

01. 05. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Märchen Volksliteratur Volkslied Spanischsprachige Literatur Don Juan figarolanguage Japanischlanguage Spanischlanguage Deutschlanguage Französischlanguage Englisch Machado y Álvarez, Antonio Andalusien Spanien

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (126-S.341-344). Sevilla, 01. 05. 1879. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6777, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6777.


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[Sevilla, Plaza Nueva 10. 1. Mai, o. D. (1879 ?)]

Verehrter Freund!

[S. 341-344]

Wie oft habe ich Ihnen in den letzten Jahren schon schreiben wollen und wie oft hat mir ein leidiger Zufall die Feder aus der Hand genommen. Bald wollte ich Sie einladen, nach der grünen Steiermark zu kommen ( Demelius1 hatte mir gesagt, Sie wären nicht abgeneigt), bald wollte ich Ihnen eine Frage vorlegen, bald hatte ich ein japanesischesMärchen (in der Bibliothèque universelle) gelesen, welches dem „Mann und Frau ‘m Pißpott entsprach2 u. s. w. Aber wie gesagt, immer verhinderte mich etwas an der Ausführung meines Vorsatzes. Heute aber wird es ernst. Ich möchte Sie mit einem jungen Mann in Berührung bringen, welcher sich sehr für Volkslitteratur interessirt, insbesondere Märchen und Räthsel sammelt. Er hatte auch angefangen Volkslieder zu sammeln,3 das Unternehmen aber dann zu Gunsten eines Freundes aufgegeben, der jetzt schon 24000 zusammen hat und sie nächstens veröfffentlichen wird. |2| Ich habe heute mit den Freunden eine längere Besprechung gehabt und mich überzeugt, daß sie Ermunterung und Beifall verdienen. Der Märchenmann, der schon Verschiedenes geschrieben hat (vielleicht kann ich Ihnen ein oder das andere schicken), heißt Don Antonio Machado y Álvarez und wohnt im Palacio del Duque de Alba (Dueñas 3). Ich glaube, er ist Professor an der Universität, doch das thut Nichts zur Sache. Er selbst wünscht sehr, Fühlung mit Deutschland zu gewinnen und es läge ihm besonders daran, einen Austausch hiesiger Zeitschriften mit deutschen zu bewerkstelligen. Im spanischen wie im deutschen Interesse erscheint auch mir Solches recht wünschenswerth. Wenn Sie ihm schreiben wollen, so müßten Sie das freilich in französischer oder englischer Sprache thun; denn deutsch versteht er nicht und dafür würde sich auch nicht leicht ein Dolmetscher hier finden.

Ich erlaube mir, nach althergebrachter Sitte, Sie mit einigen Fragen zu quälen. |3| Ich beschäftige mich u. A. mit der Untersuchung ob Don Juan Tenorio eine geschichtliche Persönlichkeit ist oder nicht. Was Schack, Ticknor, Viardot, Latour darüber gesagt haben, weiß ich; aber vielleicht hat sonst noch Einer oder der Andere, welcher über die Don-Juanlegende gehandelt hat, diesen Punkt in’s Auge gefaßt. Ferner würde es mich sehr interessiren, zu wissen ob Beaumarchais in Sevilla oder überhaupt in Andalusien gewesen ist.4 Ich möchte gern untersuchen, ob er beabsichtigt hat, im Figaro einen andalusischen Typus zu zeichnen und inwiefern ihm das gelungen ist. Wenn Sie ohne große Mühe irgend darauf Bezügliches in den schönen und anheimelnden Räumen Ihrer Bibliothek finden können, so würden Sie mich durch Mittheilung sehr beglücken. Es existiren verschiedene Arbeiten über Beaumarchais, die natürlich hier unmöglich aufzutreiben sind.

Wir haben lange Zeit auch hier schlechtes Wetter gehabt und erst seit etwa einer Woche erfreuen wir uns eines wirklich andalusischen Himmels.

|3| Wenn ich im Herbst durch Deutschland zurückreise, hoffe ich Sie zu sehen, Sie wohlauf zu finden und Ihnen Einiges von Spanien zu erzählen. Schreiben Sie mir bald einmal und seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem treu ergebenen

H Schuchardt

Sevilla, Plaza Nueva 10.

1 Mai


1 Gustav Demelius (1831-1891), bedeutender Spezialist des Römischen Rechts, Professor u. a. in Graz und, ab 1881, in Wien.

2 „Vom Fischer und seiner Frau“.

3 Machado y Álvarez, „Apuntes para un artículo literario“, Revista mensual de Filosofía, Literatura y Ciencias de Sevilla 1869, 173-179 (enthält den Appell, sich mit spanischer Volksdichtung, insbesondere Volksliedern, zu befassen).

4 Diese Frage wird mehrfach brieflich von Schuchardt thematisiert; vgl. z. B. Anton Bettelheim, Brief 009744.

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.341)