Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (102-S.197-198)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Halle

23. 04. 1874

language Deutsch

Schlagwörter: Italienischsprachige Literatur Volksliteratur Volkslied Romanische Studien Metrik Philosophielanguage Provenzalischlanguage Umbrische Dialekte Witte, Karl Gotha Leipzig Weimar Halle

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (102-S.197-198). Halle, 23. 04. 1874. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6752, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6752.


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H. 23.4.741

Lieber Freund!

[S. 197-198]

Ich hatte die Absicht auf meinem Rückkehr bei Ihnen vorzusprechen und Ihnen von den Pariser Fachgenossen und ihren Studien zu erzählen; aber die Droschke holte mich unpünktlich ab, ich versäumte den betreffenden Zug und fuhr dann mit dem Schnellzug von Gotha ab gleich durch.

Können Sie den Apparat von ital.Volksliteratur wieder einige Zeit entbehren? Ich bin mit meiner Arbeit für Witte noch nicht fertig, obwohl zum 10 April einige Seiten gedruckt worden waren. Ich führe die Bücher nach ihren Verfassern an: Marcoaldi, Righi (veron.), Bernoni (ven.) Vigo, S.-Marino (sic) Bianchi e Rumori (ancon.) Visconti (rom.) – sodann Arbaud’s prov. Lieder und Imbriani‘s Schriftchen über die Volkspoesie. Außerdem habe ich einige neue Wünsche. Wenn Sie die 3 Bd. ital. Volkslieder von Ferraro, Imbriano u. Casetti nicht selbst benöthigen, so würde ich darum bitten; sonst kann ich sie mir auch aus Leipzig kommen lassen. – Nerucci‘s Büchlein über den montal. Dial.2 – Brücke Physiolog. Grundlage der neuhochd. Metrik.3 Endlich frage ich noch nach einigen Dingen mehr aus Gewissenhaftigkeit, als weil ich glaube sie in Weimar|2| anzutreffen

Foster Accent and quantity

É. du Méril Essai philosophique sur le principe et les formes de la versif Par. 1841

Mourgues Traité de la poésie française

Ackermann Traité de l’accent appliqué à la théorie de la versif. (2. Aufl.) 1843

Ténint Prosodie de l’école moderne Paris 1844

Ich lese nämlich in diesem Semester romanischeMetrik nach dem alten Grundsatz docendo discimus und die umbrische Litteratur ist eine der unzugänglichsten [?] die es gibt; sie flüchtet sich zuweilen in Winkel wo man sie nicht sucht. Kennen Sie einige reconditiora, welche einer nicht allzu sorgfältigen Orientirung entgehen könnten?

In Eile

Ihr
Schuchardt

Ihr Shakespeare-Fest ist hoffentlich friedlich abgelaufen;4Halle war ja nicht nur durch, Ulrici5 sondern auch durch Thümmel6 vertreten.


1 Es folgt in blauem Druck ein Monogramm (H und S kunstvoll ineinander verschlungen).

2 Gherardo Nerucci, Saggio di uno studio sopra i parlari vernacoli della Toscana; Vernacolo montalese (contado) del sotto-dialetto di Pistoia. Varie appendici, Milano: G. Fajini e Comp.°, 1865.

3 Ernst Wilhelm von Brücke, Die physiologischen Grundlagen der neuhochdeutschen Verskunst, Wien: Gerold, 1876.

4 Weimar war Sitz der 1864 gegründeten Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, die mithin ihr Zehnjähriges feiern konnte.

5 Hermann Ulrici (1806-1884), Prof. d. Philosophie in Halle.

6 Julius Sigismund Thümmel (1818-1885), Universitätsrichter in Halle (und zugleich Dichter).

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.197)