Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (059-S.121-124)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Gotha

20. 02. 1872

language Deutsch

Schlagwörter: The Academy Großherzogliche Bibliothek Weimarlanguage Lateinlanguage Romanische Sprachen Leskien, August D´Ancona, Alessandro Corazzini, Francesco Leipzig Sizilien Schuchardt, Hugo (1872)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (059-S.121-124). Gotha, 20. 02. 1872. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6708, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6708.


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[Gotha, 7.2.1872]

Lieber Freund!

[S. 121-124]

Ich schicke Ihnen mit bestem Dank Nannucci u. Poeti del primo Secolo zurück und bitte gleichermaßen [?] wegen der Verspätung um Entschuldigung. Schon im Dezember hatte ich sie Ihnen zurückschicken wollen, weil ich dachte, Sie selbst etwa könnten den Nannucci vermissen. Aber wie mein geistiges Befinden mir die Dauer einer jeden Arbeit unberechenbar macht, so natürlich auch die Rückgabe der dazu erforderlichen Bücher. Sie müßten für mich eine Art Strafzahlung einführen.

Meine Gesundheit hatte sich schon in Ilmenau sehr gebessert und ich glaube auch jetzt noch fortschreitende Besserung |2| wahrzunehmen. Meiner Carrière wegen denke ich Ostern nach Leipzig zurückzukehren; für meinen Gesundheitszustand freilich wäre eine zweite Sommerkur noch sehr wünschenswerth. Ich arbeite sehr wenig, indem die Mitte des Tages durch Spazierengehen und schwedische Heilgymnastik weggenommen wird.

Können Sie mir die Nummern der Academy vom vorigen Jahre zukommen lassen, in denen über die lateinische Aussprache gehandelt ist (wohl 7-10) und diejenige (N. 40), in denen Leskien Röslers Romaenische Studien besprochen hat?1 An letzterer liegt mir besonders, da ich selbst einen Aufsatz über diesen Gegenstand fast fertig habe. Ferner wünschte ich – aber dies hat keine Eile – bei Ge- |3| legenheit, die Sizil. Märchen der Gonzenbach,2 an denen Sie ja auch einen [?] fachlichen Antheil haben. Sehr befremdend für mich ist die Ansicht O. Hartwig’s, die ich daraus3 angeführt gefunden habe, daß Sizilien kein ursprünglich romanisches Land sei, sondern erst im Mittelalter wieder romanisirt worden sei.

Ich habe Sie wohl schon einmal gefragt, ob unter Ancona’s Hochzeitsschriften sich Linguistisches findet? Et hat mir nur Corazzini über alte sicilianische Dichter geschickt.4

Von Herrn R. Köhler rührt auch im Wesentlichen die Anordnung der Märchen her, wie sie hier vorliegt“

Mit herzlichsten Grüßen

Ihr
Hugo Schuchardt


1 Robert Rösler, Romänische Studien; Untersuchungen zur älteren Geschichte Romäniens, Leipzig: Duncker & Humblot, 1871. Vgl. Schuchardt, „Der Rumänen Herkunft“, Beilage zur Allgemeinen Zeitung (Augsburg / München) 1872, 1321-1323, 1374f., hier 1322 Fn.: „Leskien, sowohl in seiner Anzeige des Rösler’schen Buches (The Academy, 15 Jan. 1872) als in einer brieflichen Mittheilung an mich, pflichtet der Erklärung der ,Wlachen‘ als Franken, ohne Anstoß zu nehmen, bei“.

2 Laura Gonzenbach, Sizilianische Märchen. Aus dem Volksmund gesammelt, mit Anmerkungen Reinhold Köhler’s und einer Einleitung hrsg. von Otto Hartwig, 2 Teile, Leipzig: Engelmann, 1870. Im Vorwort heißt es (S. 10): „Derselbe (= Köhler) nannte mir unsere Sammlung eine ,wahrhafte Bereicherung unserer Märchenliteratur‘, als ich ihm das Manuscript vor seiner Drucklegung zur Einsicht zugeschickt hatte, und zeigte sich auf meine Bitten bereit, gelehrte Anmerkungen zu den einzelnen Märchen zu schreiben. Denn wenn auch mir eine ganze Anzahl paralleler Märchen zu vielen Nummern unserer Sammlung bekannt waren, so wäre es mir doch ohne ein längeres eindringendes Studium gar nicht möglich gewesen, auch nur ganz annähernd das für unsere Märchen zu leisten, was dieser gelehrte Märchenkenner in seinen literarischen Nachweisungen für sie gethan hat. Auch die für eine derartige Arbeit nothwendigen Bücher würde ich mir nicht so vollständig haben verschaffen können, als sie die in diesem Fache vortrefflich ausgestattete Bibliothek von Weimar darbot. Alle Leser dieses Buches wie alle Märchenkenner werden daher mit mir Herrn R. Köhler für seine freundlichen und uneigennützigen Bemühungen um unsere Sammlung sich zu Dank verpflichtet fühlen. Von Herrn R. Köhler rührt auch im Wesentlichen die Anordnung der Märchen her, wie sie hier vorliegt“

3 gem. darin?

4 Vgl. Schuchardts Brief vom 30.8.1871.

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.121)