Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (057-S.117-120)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Weimar

18. 11. 1871

language Deutsch

Schlagwörter: language Italienisch Morandi, Luigi Scheffel, Josef Victor von Heyse, Paul Spoleto Italien Bologna Gotha

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (057-S.117-120). Weimar, 18. 11. 1871. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6706, abgerufen am 15. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6706.


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Ilmenau, 18 Nov 71.


Lieber Freund!

[S. 117-120]

Den von Ihnen im vorigen Monat angekündigten Brief habe ich noch nicht erhalten; doch ist dies nicht der Grund, weßhalb ich Ihnen von Neuem schreibe. Denn die Beantwortung dieser Fragen hat ja durchaus keine Eile. Nur glaubte ich allerdings, Sie wären unwohl, bis ich in der Weimarischen Zeitung von Ihrer Theilnahme an einer Sitzung der Shakespearekommission las.

Bei den Italienern erreicht jetzt die Theilnahme für Deutschland eine ungeahnte Höhe. U. A. auch bei meinem Freunde Morandi1 in Spoleto. Er hat die „Wacht am Rhein“ unter Einziehung meines Gutachtens in’s Italienische Übersetzt und wird sie so in der Rivista europea |2| nächstens erscheinen.2 Nun will er auch seine Landsleute mit der Geschichte und den Wandlungen unseres Nazionalliedes bekannt machen und ich habe ihm al più presto „Die Wacht am Rhein Berlin Fr. Lipperh.“3 schicken müssen. Er verlangt noch Alles was ihm sonst zu seinem Zweck förderlich sein könnte (ich kenne Nichts). Endlich bittet er mich um ein Werkchen unsrer schönen Litteratur (neues oder auch altes) von ganz besonderem Werthe und geringem Umfange, welches in Italien bekannt zu werden verdient. Er will es übersetzen. Er fügt zwar hinzu: was es auch immer sei, was mir gefiele, würde auch ihm gefallen; aber der „pregio singulare“ veranlaßt mich doch einen Litteraturkundigen ersten Ranges um Rath anzugehen, damit ich für Deutschland möglichst viel Ehre bei Italien durch meine Wahl einlege. Die Italiener scheinen jetzt freilich starke tramontana vertragen zu können – wie der Lohengrin bei Bologna beweist4 – in- |3| deß dürfte Ihnen doch der Ekkehard von Scheffel z. B.,5 der mir sehr wohl gefällt und der gewiß di pregio singolare ist, (freilich zu umfangreich) eine unverdauliche Speise sein. Ich habe an eine oder die andere Heysesche Novelle gedacht.6 Wollten Sie mir um eines patriotischen Zwecks halber Einiges vorschlagen?

Den Nannucci werde ich Ihnen möglichst bald wieder zurückschicken, da ich weiß, daß Sie ihn öfter zu Rathe ziehen. Besitzen Sie andere Schriften dieses Gelehrten, bes. die über die Theorie des it. Verbums?7

In etwa 14 Tagen schüttle ich den Schnee von Ilmenau von meinen Sohlen und kehre nach Gotha zurück

Mit bestem Gruße

der Ihrige

H. Schuchardt


1 Luigi Morandi (1844-1922), ital. Literaturhistoriker; vgl. HSA 07466-07469.

2 Nicht nachgewiesen (durchgesehen wurden die Bände 1871-75).

3 Die Wacht am Rhein, das deutsche Volks- und Soldatenlied des Jahres 1870 / [Verf.: Max Schnackenburger]. Mit Portraits, Facsimiles, Musikbeilagen, Übersetzungen etc. ... hrsg. v. Georg Scherer u. Franz Lipperheide, Berlin: Franz Lipperheide, 1871.

4 Am 19.11,1871 sah Giuseppe Verdi in BolognaLohengrin, die erste Wagner-Oper, die jenseits der Alpen aufgeführt wurde, doch hielt sich seine Begeisterung in Grenzen!

5 Joseph Victor von Scheffel, Ekkehard: eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert, Frankfurt 1855.

6 Paul Heyse hat seinerseits Gedichte von Morandi übersetzt.

7 Vincenzo Nannucci, Analisi critica dei Verbi Italiani investigati nella loro primitiva origine, Florenz: Le Monnier, 1843.

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.117)