Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (055-S.111-112)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Ilmenau

30. 08. 1871

language Deutsch

Schlagwörter: Kreolischsprachige Literaturlanguage Toskanische Dialekte D´Ancona, Alessandro Richter, Gustav Friedrichroda Weimar Gotha Corazzini, Francesco (1871)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (055-S.111-112). Ilmenau, 30. 08. 1871. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6704, abgerufen am 03. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6704.


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Ilmenau, 30.8.71.


Lieber Freund!

[S. 111-112]

Um die Bücher nicht länger, als unumgänglich nothwendig zu behalten, sende ich dieselben schon heute mit bestem Dank wieder zurück. – Ich bedaure sehr, daß Sie es nach Ihrem Friedrichroder1 Aufenthalt fraglich machen (wir kennen diese euphemistische Ausdrucksweise), ob Sie nach Ilmenau kommen können. – D’Ancona scheint mir kein besonderes Interesse für seine persönlichen Verhältnisse zuzutrauen, da er mich von der vollzogenen Verbindung nicht auf gleiche Weise unterrichtet wie Sie. Er konnte dies umso leichter, als gerade mit Ihrem Briefe mir Gedichte in chianajuolischer Mundart2 zukamen, die sich durch eine spätre herausfallende Karte (aber ohne das sehr semitisch klingende Nizzim dem Namen d’Ancona anzufügen)3 als von ihm gesendet |2| erwiesen. Hat jenes Hochzeitsschriftchen ein besonderes Interesse?4 – Besitzen Sie vielleicht ein Verzeichniß der Publikationen der American Bible Society (von welcher 1865 ein Kreolisches Evangeli segoen Marco geliefert worden ist)5 bzw. wissen Sie, ob ein solches auf buchhändlerischem Wege zu ergattern ist? Wäre jenes der Fall so würde ich Sie sehr bitten, mir dasselbe zukommen zu lassen, wäre dieses bei irgend einer Buchhandlung in Weimar es zu bestellen, die es mir dann unter Entnahme von Postzuschuß hierher nach Ilmenau (wo ich noch mindestens 4 Wochen bleibe) oder nach Gotha schicken könnte. – Der Métivier6 ist doch vor fünf Wochen sicher in Ihre Hände gelangt? Der Zettel ist nämlich nicht in meine Hände zurückgelangt.

Aus dem Stil dieses Briefes, besonders aus den letzten Worten, können Sie ersehen, wie schwach ich noch bin. Grüßen Sie Richter bestens von mir.7 Sollte nicht wenigstens einer der weimaraner Herren einmal hierher kommen?

In dieser Hoffnung

ganz der Ihrige
H. Schuchardt


1 Friedrichroda, Ort in der Nähe von Gotha.

2 Toskanischer Dialekt ( Siena und Arezzo). – Raffaele-Luigi Billi, Poesie giocose nel dialetto chianajoli, Arezzo: Tip. Bellotti, 1870.

3 Er war mit Adele Nissim (1853-1932), Tochter von Giacomo Nissim und Giulia Sonsino Nissim verheiratet.

4 Schuchardt scheint die Tradition der italienischen „ Nozze“ (Hochzeitsschriften) nicht zu kennen, die in gebildeten Familien durchaus literarische Ansprüche verfolgten; hier handelt es sich um Per le nozze d’Ancona-Nissim il 20 Agosto 1871. Die Vorrede ist datiert Montecelso, 10 Agosto 1871, Francesco Corazzini. Abgedruckt werden Texte der frühen Sizilianer ( Giacomo da Lentino, Tommaso di Sasso da Messina und Inghilfredo Siciliano). - Corazzini war ein angesehener Philologe und Politiker.

5 Evangeli segoen Marco. Transl. Sibrand van Dissel, American Bible Society, 1865.

6 Vgl. seinen Brief vom 27.7.1871.

7 Gustav Richter (1838-1904), Lehrer in Weimar und Kommilitone Schuchardts aus Bonner Tagen.

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.111)