Max Leopold Wagner an Hugo Schuchardt (1-12578)
an Hugo Schuchardt
01. 08. 1917
Deutsch
Schlagwörter: Erster Weltkrieg Grundriss der romanischen Philologie Publikationsvorhaben Onomastik Archäologie Lexikologie Reduplikation Dialekte Lautwandel Sardisch
Berberisch
Zitiervorschlag: Max Leopold Wagner an Hugo Schuchardt (1-12578). München, 01. 08. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch und Giovanni Masala (2009). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.67, abgerufen am 02. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.67.
München, 1. Aug. 1917
Augsburgerstr. 8/I lks.
Sehr geehrter Herr Hofrat!
Verzeihen Sie, daß ich mir die Freiheit nehme, Sie mit einer Bitte zu belästigen und auf diese Weise einmal direkt mit Ihnen in Verbindung zu treten, nachdem ich seit Jahren soviel aus Ihren Schriften gelernt habe und bewundernd zu Ihnen aufblicke.
Längst schon war es mein Wunsch, Sie, verehrter Herr Hofrat in Graz selbst aufzusuchen; leider trat mir immer wieder irgendein Hindernis in den Weg; aber ich habe den Plan noch nicht aufgegeben und hoffe ihn nach dem Ende dieses Krieges verwirklichen zu können.
Die Angelegenheit, die mich veranlasst, mich an Sie zu wenden, ist die folgende: Ich bin z. Z. mit der Abfassung einer Syntese der des Sardische betreffenden Fragen für die Neuauflage |2|von Gröbers Grdr.1 beschäftigt. Darin komme ich auch auf die vorromanischen Elemente des Sardischen zu sprechen. Diese sind, wenn man von der Toponomastik absieht, nicht gerade sehr zahlreich; aber es will mir doch scheinen, daß, bes. in den Zentraldialekten, manches vorromanische Wort weiterlebt, insbesondere Ausdrücke des Tier- und Pflanzenreiches.
Nach den Ergebnissen der archäologischen Forschung scheint es heute gesichert, daß die alten Ilienses libyscher Herkunft waren, und es liegt daher nahe, in den nichtromanischen Resten der sardischen Wörter libyschen oder zum mindesten afrikanischen Ursprungs zu sehen.
Als solche sehe ich zB. an:
zentralsard. þiþilipírke, Heuschrecke (auch Hirschkäfer), log. tiliƀirke, tiliƀiske etc.
zts. þaþalakúkka ein S. eigentümliches Reptil (Seps), süds. sazzalúga, log. tiliǥuǥu,
|3|zts. (þu)þurulía, log. turulía, tirolía, camp. zirolía, ’nibbio’
zts. aþ(r)ánda; ’Mohn’
“ tivàni, ’Rabe’, usw.
Ich vermag zwar mit meinen Hilfsmitteln keine direkten Parallelen mit heutigen berberischen Wt. festzustellen; höchstens þapalkúkka erinnert an kabyl. þa3úkka, tuareg. ta3úkki‚’Wurm’. Aber meine Kenntnisse sind in dieser Materie zu lückenhaft, als daß ich es wagen dürfe, mich in diese Hypothesen zu verlieren.
Die Häufigkeit der Reduplikation in gewissen Tiernamen, insbes. in den Zentraldialekten, hat mich in meiner Vermutung bestärkt, und was Schulten, Numantia I, 38 u. 53 über die Reduplikation in altlibyschen O. N. .2sagt, möchte ebenfalls dafür sprechen. Auch bildet das þ und der Stimmbänderverschluß in Zentralsardinien eine Isophone, die mit gewissen charakteristischen |4|Isolexen übereinstimmt. Ich sehe in diesen typischen Lauten Substitutionen auf Grund der Laute der vorromanischen Sprache.
Ich würde Ihnen, verehrter Herr Hofrat, ungemein zu Dank verpflichtet sein, wenn Sie mir ganz kurz Ihre Ansicht in dieser Frage mitteilen wollten. Wenn Sie dieser Sache Interesse abgewinnen können, will ich Ihnen gerne nach meiner Rückkehr nach Berlin das weitere Material mitteilen.
Wenn ich es gewagt habe, Sie mit dieser Bitte zu belästigen, so geschah es nur, weil mich Herr Prof. Morf und mein Freund Urtel dazu ermunterten.
Mit ehrerbietigen Grüßen verbleibe ich
Ihr ergebener
M. L. Wagner
Bis 14. Aug.: München, ab 14. " Berlin-Charlottenbg, Kantstr. 31/II
1 Gustav Gröbers Grundriss der romanischen Philologie erschien in den Jahren 1888 ff. Die angedeutete Neuauflage in diesen Jahren kam wohl nicht zustande.
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