Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (017-S.35-38)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Gotha

16. 03. 1867

language Deutsch

Schlagwörter: language Griechisch Ascoli, Graziadio Isaia Schuchardt, Hugo (1868)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (017-S.35-38). Gotha, 16. 03. 1867. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6666, abgerufen am 07. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6666.


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Gotha, 16.3.67.

Mein lieber Herr Doktor!

[S. 35-38]

Mit bestem Danke sende ich die zuletzt erhaltenen Bücher zurück, sowie 2 der früheren.

Eben las ich einen kurzen Aufsatz von Ascoli in Kuhn’s Ztschr XIV, 397 fgg.,1 in welchem er die bei einem venezianischen Kartenspiel, das auf demselben Prinzip, wie unser Cerevis 2 beruht, vorkommenden Ausdrücke slipe, slape, snorio, basilorio aus dem Griechischen herleitet. Doch erkannte ich gleich, dass dieselben mit unserem Schnipp, Schnapp, Schnurr, Burr, Apostolorum, Ex, das mir als eine Form des Quodlibets 3 erinnerlich ist, identisch sind. Ich möchte die Sache etwas weiter verfolgen, um Ascoli in ders. Ztschr. zu berichtigen;4 doch bietet mir die hiesige Bibliothek keine Hülfsmittel und ich |2| wende mich wiederum an Sie. Besitzen Sie, besonders ältere, Schriften über die niedereren Kartenspiele (Schnipp-Schnapp-Schnurr, Sechsundsechzig, Cerevis, Ramsch, schwarzer Peter u.s.w.)? Oder können Sie mir, als tüchtiger Kenner deutscher Sprache und Sitte, einige Nachweise und Analogieen, die ich natürlich als von Ihnen mitgetheilt bezeichnen würde, an die Hand geben? Es kömmt darauf an:

1) die verschiedenen Formen des Spiels und der Ausdrücke (postolorum, pastolorum u.s.w.) zu bestimmen.

2) das Alter und den Ursprung derselben zu ermitteln.

3) ähnliche das Ausspielen der Karten begleitende Ausdrücke aus anderen Spielen anzuführen (vgl. Cerevis). Kommt dergleichen bei Würfelspielen vor?

Über Kinderspiele existirt wohl nichts Ganzes? Ist die Benennung Schnurps für Sechsundsechzig nur thüringisch und woher mag sie stammen?

|3| Verzeihen Sie mir wiederum, dass ich Sie belästige; aber ich habe hier Niemanden, der meine Interessen theilt und den ich vorkommenden Falls um Auskunft angehen könnte.

Bestens grüssend

der Ihrige

H. Schuchardt5


1 G. I. Ascoli, „Sprachliches aus italienischen Kartenspielen“, Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachwissenschaft 14, 1865, 397-399.

2 Deutsches Trinkspiel ( Lustig meine Sieben).

3 Scherzhaftes Musikstück; aber auch Knobelspiel.

4 Schuchardt, „Slipe, slape, snorio, basilorio (zu Zeitschr. XIV, 397-399)“, Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechischen und Lateinischen 17, 1868, 396-400. Köhler wird auf S. 398f. erwähnt.

5 Auf dem letzten Blatt Bleistiftnotizen Köhlers mit Namen von Nachschlagwerken, in denen er sich möglicherweise Antworten auf Schuchardts Fragen suchen wollte (ein entsprechender Brief ist nicht erhalten): |4|„Adelung, Zeidler, Krünitz, Frommann MA“.

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.35)