Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (014-S.27-30)
von Hugo Schuchardt
06. 03. 1867
Deutsch
Schlagwörter: Rätoromanische Literatur Romanische Sprachen Germanische Sprachen Sardinien Schuchardt, Hugo (1868)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (014-S.27-30). Gotha, 06. 03. 1867. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6663, abgerufen am 03. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6663.
Gotha 6.3.67
Mein lieber Herr Doktor!
[S. 27-30]
Für Ihre gütige Auskunft meinen herzlichsten Dank! Ich bitte Sie in Folge dessen, mir die beiden Uebersetzungen des Faust zu schicken;1 dieselben werden meiner Absicht, mir eine einigermassen klare Vorstellung von dem Abstand zwischen Nord- und Südniederländisch zu verschaffen, besser wie irgend etwas Anderes dienen. Vielleicht haben Sie noch die Güte „Schmidt Das Jahr und seine Tage“ beizulegen.2 In der 2ten Auflage von Wattenbach werden allerdings die Pergamene d’Arborea unter die Fälschungen gerechnet, aber bloss weil der Inhalt gegen Echtheit spreche, ohne dass dies im Mindesten begründet wird. Ihr franz. Rezensent führt doch kein spezielles Argument der Unechtheit |2| an?3 Die Sache beschäftigt mich jetzt um so mehr, da eben die Stelle der Nachträge, an der ich jener sardinischen Dokumente Erwähnung thue, dem Drucke unterliegt. Ich habe die Frage wegen ihrer Authentizität unentschieden gelassen; was gegen Sie angeführt wird, kann mich nicht bestimmen, einseitig darüber abzuurtheilen.4 Man geht auch in dem ἀπιστεῖν leicht zu weit.
An Ihre Schlussbemerkung anknüpfend, gestehe ich, dass Sie mich allerdings zu grösstem Dank verpflichten würden, wenn Sie – wozu Ihnen Ihre Stellung als Bibliothekar und auch die Richtung Ihrer Studien reiche Gelegenheit gibt – Büchertitel u.s.w., natürlich reconditius et remotius genus, für mich notiren wollten. Im Allgemeinen wissen Sie, was mich interessirt. Speziell aber Alles was betrifft:
1) nicht nur die Sprache, sondern auch die Geschichte, Sitten u.s.w. der Rätoromanen;
|3|2) die Sprachgrenzen der Romanischen Idiome unter einander und nach aussen hin, bes. gegen das germanische Sprachgebiet (hierher gehören auch Betrachtungen über die Art und Weise, in welcher sich Dialekte abstufen d. h. nach Massgabe ihrer geographischen Lage in einander übergehen);
3) den Einfluss, welchen alteinheimische, später eingedrungene und benachbarte Sprachen auf das Romanische ausgeübt haben.
Vielleicht kann ich Ihnen später Gegendienste erweisen, sei es bei Durchstörberung verstaubter Bücher, sei es bei unmittelbarer Kenntnisnahme von nationalem Leben während eines schon so lange projektirten Aufenthaltes im Süden.
Mit herzlichstem Gruss
Ihr
Hugo Schuchardt
1 Vgl. Köhlers Brief 05693.
2 Wilhelm Schmidt, Das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der Romänen Siebenbürgens; ein Beitrag zur Kenntniss des Volksmythus, Hermannstadt: Schmiedicke, 1866.
3 Vgl. Brief 05693; weiterhin Bericht über die Handschriften von Arborea. Januarheft 1870 der kgl. Akad. Wissenschaften zu Berlin, 65-104.
4 Vgl. Der Vokalismus des Vulgärlateins III, 1868, 21f., 23, 315
Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.27)