Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (100-03448)
von Theodor Gartner
an Hugo Schuchardt
17. 01. 1894
Deutsch
Schlagwörter: Ruthenisch Französisch Mussafia, Adolf Paris, Gaston Gilliéron, Jules Rousselot, Jean-Pierre Smal-Stockyj, Stephan von
Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (100-03448). Paris, 17. 01. 1894. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6603, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6603.
Paris (rue Vaugirard, 11), 17. Januar 94.
Verehrter Freund!
Sie fragen mich, was ich hier mache: eigentlich sehr wenig. Die Kosten des Familienlebens in Paris sind wider mein Erwarten und im Gegensatze zum Junggesellenleben sehr hoch, so dass ich meine ohnedies bescheidenen Ansprüche an das Leben sehr weit herabdrücken musste, um mich durchzufretten. Daher verliere ich auch Zeit, indem ich zuhause kein Arbeitszimmer habe und am Abend statt ins Theater gewöhnlich ins Bett gehen muss. Vom |2| nächsten Samstag an werde ich eine etwas bessere Wohnung haben (rue Vaugirard, 11). Noch ein Hindernis zu arbeiten finde ich an dem Mangel an eignen Büchern. Ich hätte nicht gedacht, dass mir meine paar Bücher so abgehen könnten, zumal da ich ja hier einige Bibliotheken zur Verfügung habe. Dass ich fr. 818 abschreibe, um es mit Mussafia herauszugeben, werden Sie wissen.1 Außerdem nehme ich an ein paar Vorlesungen theil (G. Paris, Gilliéron u. Rousselot).2 Dabei lerne ich manches und habe wenigstens Gelegenheit frz. zu hören u. zu sprechen; sonst gelingt mir das fast gar nicht, |3| weil dieses eingebildete Volk so zugeknöpft ist, dass ich für mich, geschweige für meine Frau, keine Ansprache finde. So bin ich, wie Sie sehen, mit meiner kostspieligen Expedition nicht recht zufrieden. Immerhin lerne ich nicht wenig und habe noch die Hoffnung 1 oder 2 Monate im Sommer auf dem Lande (ich weiß noch nicht wo) eine frz. Mundart zu studieren; ich fürchte nur, dass es mir auch zu dieser Studie an Franken fehlt. Hier in Frankreich fühle ich erst recht, wie sehr man uns durch die schmähliche Bezahlung verkürzt. Nun, schließlich wird das Lehrjahr auch vorüber gehen und ich |4| werde mich mit meinen Erfolgen bescheiden müssen: 1, 2 Jahre werde ich Arbeitsstoff genug haben; wenn ich nur mittlerweile eine Stelle in Innsbruck oder sonst wo in Europa bekäme. Noch eine Arbeit habe ich hier im Herbst gehabt, die Correctur der Ruthenischen Grammatik, die ich mit Stocki gemacht habe.3 Der Druck ist schon einige Wochen fertig, ich weiß nicht, was man jetzt noch so lange macht, dass sie noch nicht ausgegeben wird. Ich werde Ihnen natürlich 1 Ex. davon verehren. Die Approbation dieses Buches bedeutet zugleich den völligen Sieg der phonet. Schulschreibung in Galizien u. der Bukowina – nach siebenjährigem Kampfe!4
Seien Sie herzlich gegrüßt
von Ihrem
Gartner
1 Altfranzösische Prosalegenden aus der Handschrift der Pariser Nationalbibliothek Fr. 818. Hrsg. von Adolf Mussafia u. T. Gartner, Wien-Leipzig 1895 (bez. als Bd. 1; mehr ist jedoch nicht erschienen). – Vgl. auch Brief 03478.
2 Gaston Paris (1839-1903), Jules Gilliéron (1854-1926); Abbé Jean-Pierre Rousselot (1846-1924).
3 Ein Ex. aus diesem Jahr ist nicht nachweisbar; ansonsten gibt es Stepan J Smalʹ-Stocʹkyj / Theodor Gartner, Grammatik der ruthenischen (ukraïnischen Sprache), Wien: Buchh. d. Szewczenko-Gesellsch. d. Wiss. in Lemberg, 1913, wo es in der Vorrede heißt (S. v): „Wir haben an diesem Buch im Laufe vieler Jahre zeitweilig gearbeitet und an ihm Umarbeitungen vorgenommen“.