Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (090-03439)

von Theodor Gartner

an Hugo Schuchardt

Tschernowitz

17. 02. 1891

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätspolitiklanguage Judeo-Spanischlanguage Ladinischlanguage Ruthenischlanguage Englischlanguage Italienischlanguage Latein Birch-Hirschfeld, Adolf Gartner, Theodor (1892)

Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (090-03439). Tschernowitz, 17. 02. 1891. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6593, abgerufen am 24. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6593.


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Verehrter Freund!

Sie haben mir in Ihrem letzten lieben Briefe wieder u. wieder in Erinnerung gebracht, wie sehr ich Ihnen für Ihre treue und werkthätige Zuneigung zu Danke verpflichtet bin. Sie denken wirklich mehr an mein Wohl als ich selbst; denn mir war es bisher gar nicht eingefallen, dass ich bei Besetzungsfällen im Deutschen Reich durch Aufnahme in den Vorschlag des Collegiums einen Vortheil ziehen könnte, auch wenn ich, wie wenigstens vorläufig zu erwarten ist, eine Berufung ins Reich nicht erlebe. Aber meine Aussicht auf Innsbruck würde so gewiss zunehmen.

Ihren Wunsch betreffs Böhmers habe ich diesen Augenblick erfüllt; es hatte sich |2| hiezu die gute Gelegenheit geboten, dass mir diesmal sie1 geschrieben hatte. Ich hatte schon jahrelang nicht mehr ihre Handschrift gesehen, aber weil ich vor ein paar Wochen den Tod einer alten Tante von mir gemeldet hatte, da hielten es Böhmers offenbar, zartfühlend, wie sie sind, für angezeigt, mir durch ihre Hand ihre Theilnahme auszudrücken. Und so war es denn meinerseits auch wieder besonders leicht auf das von Ihnen gewünschte Thema zu kommen. (Dass Sie mit B. auseinander gewesen, hatte ich übrigens niemals Gelegenheit zu bemerken, weder an Ihnen noch an B., der mir gegenüber kein Blatt vor den Mund zu nehmen pflegte.)

Das Judenspanische oder Ladinische würde mich sehr interessieren; aber wenn man dazu das Hebräische braucht, so würde ich mich doch nicht vor 2 Jahren an die Arbeit machen wollen, und dann müsste ich erst ein Jahr Hebräisch (u. wohl auch Türkisch?) studieren, hierauf ein wenig in Wien, auf der |3| Balkanhalbinsel u. womöglich in Spanien Beobachtungen anstellen – kurz so machen, wie der deutsche Gelehrte in der Anekdote von der Preisschrift über das Kameel: der Franzose setzte sich sofort hin und schrieb eine nette, aber wertlose Abhandlung, der Deutsche sammelte in Bibliotheken, bis die Einreichungsfrist verstrichen war, der Engländer reiste nach Afrika, machte eine trockene, aber gute Abhandlung u. kam gerade vor Ablauf der Frist ins Einreichungsprotokoll der Akademie. (Ich bürge übrigens nicht für die Richtigkeit der Erzählung u. weiß gar nicht mehr, woher sie ist.) Gegenwärtig habe ich immer noch das Ruthenische in der Arbeit, mache auch eine Abhandlung über die Mundart von Erto,2 so gut und so schnell es möglich ist, wenn man sogar das Archivio glott. erst von einer fremden Bibl. (Graz) beziehen muss, dann bereite ich schon etwas german. u. etwas rumänisches vor.3

Also Birch-Hirschfeld? Wird denn da nicht in Gießen ein Sitz frei?4

|4| Nächstens schicke ich Ihnen eine mit Haгнибiдa unterschriebene ruth. Flugschrift, an der ich nämlich auch meinen Vaterschaftsantheil habe.

Mit dem herzlichsten Gruße

Ihr dankbar ergebener

Gartner
Cz., 17. Februar 91


1 Hedwig Böhmer, geb. Berger (1839-nach 1910), Übersetzerin aus dem Englischen, Italienischen und Lateinischen, häufig im Anschluss an die Forschungen und Editionen ihres Mannes.

2 Gartner, „Die Mundart von Erto“, ZrP 16, 1892, 183-209 u. 308-371.

3 Gartner, Über den Volksnamen der Rumänen. Ein Vortrag, Czernowitz 1892.

4 Adolf Birch-Hirschfeld (1849-1917) wechselte 1891 von Gießen nach Leipzig.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03439)