Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (043-03389)

von Theodor Gartner

an Hugo Schuchardt

Wien

19. 01. 1885

language Deutsch

Schlagwörter: Anzeige Garnwinde Zeitschrift für österreichische Gymnasienlanguage Nordostkaukasische Sprachen (nacho-dagestanische Sprachen)language Rätoromanische Sprachenlanguage Spanisch (Puerto Rico) Hartel, Wilhelm von Mussafia, Adolf Sererhard, Nicolin Gartner, Theodor (1885) Schuchardt, Hugo (1884) Schuchardt, Hugo (1886) Ascoli, Graziadio Isaia (1880–1883)

Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (043-03389). Wien, 19. 01. 1885. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6545, abgerufen am 10. 11. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6545.


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Verehrter Herr Professor!

Sie haben mich wieder durch einen liebenswürdigen Brief zu Danke verpflichtet. Ihre Schrift lese ich leicht, ich hätte nicht geahnt, dass Ihnen beim Schreiben einer der drei nach gewöhnlicher Anschauung nothwendigen Finger gefehlt hatte. Könnten Sie nicht für ein paar Wochen, etwa unter Ihren Zuhörern, einen Secretär finden, damit sich die böse Sehne endlich beruhigt?

Prof. Hartel1 fragte mich vorgestern, ob ich Ihre Festschrift in der Zeitschr. f. ö. Gymn. anzeigen möchte. Da meine Wohnung auf der Corr.-Karte von Mussafias Hand geschrieben war und Hartel das Wort „anzeigen“ gewählt hatte, nahm ich den ehrenvollen Antrag mit Dank an.2 Diese Sache wird mich in der nächsten Woche beschäftigen. Vorläufig denke ich schon daran, insbesondere an eine Schwierigkeit. Ich halte es für meine Aufgabe, in jener Zeitschr., die sich zunächst an die Gymn.-Lehrer wendet, erstens darauf aufmerksam zu machen, dass Ihre Arbeit (ausser den eigentlich wissensch. Belehrungen) zur Hebung der Sprachrichtigkeit im gelehrten Österreich dienen müsse, und zweitens die Lehrer zu Beiträgen |2| von Slawismen, Provinzialismen ec. einzuladen. Den letzteren Zweck aber würde ich, wie mir scheint, am besten dadurch fördern, dass ich gleich selbst ein paar Einzelheiten beitrüge und durch einpaar Verbesserungen zeigte, wie ein gewöhnliches einheimisches Menschenkind ganz gute Handlangerdienste verrichten kann und wie der gelehrteste Forscher sogar darauf angewiesen ist. Andrerseits aber weiss ich nicht, ob es mir nicht doch besser anstünde mit meiner Weisheit möglichst hinter dem Berge zu halten; das schiene mir besonders dann passend, wenn Sie mir erlaubten, das mitzutheilen, was Sie mir neulich schrieben, dass Sie nämlich alsbald einen Nachtrag veröffentlichen wollen.3 Wäre es nicht vortheilhaft, wenn ich sagen könnte wo? etwa in der Zeitschr. f. ö. G. selbst? Sie würden mir einen recht grossen Gefallen erweisen, wenn Sie mir über diesen meinen Zweifel hinaushülfen.

Auf Ihre Beurtheilung meiner Rät. Gr. – das brauche ich wohl nicht zu versichern – sehne ich mich schon, und ich freue mich drauf;4 denn aus den bisherigen (F. Zvěřina, Ascoli, Lundell, Techmer)5 habe ich fast nichts gelernt. – Der Name „rätorom.“ ist mir doch nicht so sehr ans Herz gewachsen: ich habe ihn ja nicht erfunden, ich habe ihn nur vertheidigt, weil er auf |3| dem Titel meines Buches stehen sollte und weil ich gern die deutschen Gelehrten bewogen hätte, einen der üblichen Namen endlich allgemein zu acceptieren. Ich habe es gethan, so gut ichs konnte. „Ladinisch“ spricht man in ein paar Dörfern des Gaderthales; auch im Engadin scheint der stolze Name sehr jung zu sein, da im J. 1742 Sererhard aus Zernez (Rät. Gramm. XXI)6 sagt: „Die Under-Engadiner nennen ihre Sprach Ladin“. Einem, der die Rolle eines Italieners und Irredentisten spielt, passt der Name freilich in den Kram.

Einige Verbesserungen habe ich bis jetzt schon vorgenommen, auf dem beiliegenden Zettel7 habe ich sie Ihnen zusammengestellt zu beliebiger Verwendung (S. besonders die zu S. XXI).

Mit achtungsvollem Grusse

Ihr

ergebener

Gartner
Wien, am 19. Januar 1885.


1 Wilhelm von Hartel (1839-1907), Klass. Philologe in Wien.

2 S. u. Brief 03390, Gartner, Z. f. d. österr. Gymnasien 36, 1885, 134-137.

3 Schuchardt, „Zu meiner Schrift Slawo-deutsches‘ und ,Slawo-italienisches‘, Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 35, 1884, 900–901; „Zu meiner Schrift ,Slawo-deutsches und Slawo-italienisches‘ II“, Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 37, 1886, 321–352.

4 Nicht nachweisbar.

5 Felix Zvěřina (ZRSW [Zeitschrift für Realschulwesen] 9, 1884, 31-35 ); G. I. Ascoli (Agi7, 429f.); J. A. Lundell (Nordisk revy 2, 1884, 307-309 ); Friedrich H. H. Techmer (IZAS 1, 1884, 447 ).

6 Nicolin Sererhard (1689-ca. 1755), Einfalte Delineation aller Gem. gemeiner dreyen Bünden, 1742

7 Nicht erhalten.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03389)