Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (038-03384)
von Theodor Gartner
an Hugo Schuchardt
26. 10. 1884
Deutsch
Schlagwörter: Grundriss der romanischen Philologie Gebr. Henninger Breitkopf und Härtel Sprachen in Zentralamerika Romanische Sprachen Spanische Dialekte Keltische Sprachen Arabisch Asturien Andalusien Schuchardt, Hugo (1879)
Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (038-03384). Wien, 26. 10. 1884. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6540, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6540.
Verehrter Herr Professor!
Sie bereiten mir eine recht große Freude und wahrlich zu viel Ehre, indem Sie mir unmittelbar nach Ihrer Ankunft antworten. Leider wird die Freude durch die Nachricht gedämpft, dass Sie krank waren und noch nicht ganz wiederhergestellt sind. Fangen Sie nur Ihre Berufsarbeiten nicht zu eilig an: an der Wiener phil. Facultät fängt man auch erst morgen an – oder soll doch morgen anfangen.
Vor allem ist es mir wichtig und erfreulich, dass Sie im allgemeinen meinen Plan billigen.1 Was die Madrider Mundart betrifft, so wollte und will ich sie nur deshalb in meine Forschungen einbeziehen, weil 1.) das deutsche Lesepublicum nach authentischen Nachrichten über die Aussprache des Schriftspanischen, des Gebildetenspanischen, des Bühnenspanischen und vielleicht auch des Madrider Volksdialektes ein Bedürfnis haben dürfte (ich urtheile nach mir), und 2.) weil das span. Publicum, das ich zur wissenschaftlichen oder doch dilettantischen Dialektologie aufmuntern will, meine Lautbeschreibungen am besten dann verstehen wird, wenn ich von der Aussprache in den verschiedenen Kreisen der Reichshauptstadt ausgehen kann; denn diese ist den meisten bekannt. Wo ich eine span. Dialektforschung von unmittelbarem wiss. Werte anstellen soll, |2| das kann ich nicht beurtheilen, und da bin ich selbstverständlich für jeden Rath sehr dankbar. Sie haben zunächst Asturien und Andalusien genannt, Asturien wegen des sprachlichen Interesses, Andalusien wegen des Klimas. Da ich, wenn mein Vorhaben gelingt, ein ganzes Jahr zur Verfügung habe, so hat das Klima nicht viel zu sagen, falls ich nicht etwa besser thue, nur den Winter in Spanien zuzubringen,2 den Sommer (1886) zuhause. Von Entscheidung wäre für mich die Kenntnis, ob ich etwa für Ast. viel Keltisch, oder für And. viel Arabisch lernen müsste; denn wenngleich ich noch neun Monate vor mir habe, so bleibt mir neben der Abfassung des 1. Bogens für den „Grundriss“,3 neben der Herausgabe der o.-eng. „Zehn Alter“4 und neben dem Studium des Spanischen nicht viel freie Zeit. (Dienstag nachm. und den darauffolgenden Dienstag nehme ich bei H. Dr Nadal5 zwei Lectionen zu je 2 Stunden, um Gebildetenspanisch zu hören.)
Die Kosten der Reisen allein veranschlage ich auf tausend Mark, und diese will und muss ich vom Verleger bekommen, eine Hälfte in Wien vor meiner Abfahrt, die andre in Madrid vor meiner Heimreise. (Ich denke an Gebr. Henninger,6 deren Drucker, Breitkopf u. Härtel,7 schon mit den nöthigen Typen versehen sind.) Und das ist es, warum ich |3| auf das Bedürfnis des Lesepublicums oben soviel Gewicht gelegt habe: ich muss dem Verleger Schriften liefern können, die Absatz finden. Ich habe diese Tage auch schon daran gedacht, ob es nicht noch besser wäre, statt des Büchleins für Spanier, oder nebstdem, eines für alle Romanen zu schreiben: eine (frz. geschriebene) kurze Phonetik, worin alle roman. Gebildetensprachen als Beispiele zu dienen hätten und worin (auf einer lithogr. Tafel) die Lautzeichen der wichtigsten Phonetiken vergleichend zusammengestellt würden. Aus diesem Büchlein müsste man it., frz., span., ptg. und rum. lesen lernen (frz. freilich nicht vollständig).
Meinen verbindlichsten Dank auch für die Zusendung Ihres schwungvollen Artikels in der Enciclopedía;8 ich habe ihn mit vielem Interesse gelesen.
Mit achtungsvollem Grusse
Ihr
ergebener
Gartner
Wien, am 26. Oct. 84.
2 Dies Projekt dürfte sich durch die Berufung nach Czernowitz zum Romanistikprofessor (Ende 1885) zerschlagen haben.
3 Gartner, „ Die rätoromanischen Mundarten “, Grundriss der romanischen Philologie I, 1888, 461-488
4 Gartner, „ Die zehn Alter, eine rätoromanische Bearbeitung aus dem 16. Jh. “, Romanische Studien 6, 1895, 239-302.
5 Alfredo Nadal de Mariezcurrena, Autor zahlreicher spanischer Lehrwerke, vor allem Deutsch-Spanische Handelskorrespondenz.
6 Die Verlagshandlung Gebrüder Henninger wurde am 1.10.1874 von Hermann (1840-um 1910) und Albert Henninger (1853-1917) in Heilbronn gegründet; der Bruder Paul (1851-1892) fungierte als Prokurist. 1878 erwarb der Verlag einen großen Teil des Sortiments der Zimmer’schen Buchhandlung in Frankfurt a. M. Der Verlag stellte jedoch um 1890 seine Produktion ein, Hermann verzog nach Mannheim, die beiden anderen Brüder nach Straßburg. Die Gründe für die Verlagsaufgabe waren vermutlich finanzieller Natur. Dafür spricht ein Vorgang aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 233 Nr. 36172 von 1904, eine Anklage wegen Konkursvergehen gegen Hermann Henninger.
7 Damals der führende Musikalien-Verlag in Leipzig.
8 Vermutlich Schuchardt, „Fonética andaluza“, La Enciclopedia. Revista científico-literaria 2, 9, 1979, 137-139.