- Henninger an Hugo Schuchardt (4-04560)

von - Henninger

an Hugo Schuchardt

Heilbronn

24. 05. 1884

language Deutsch

Schlagwörter: Publikationsvorhaben Vertrieb und Absatz (Publikationswesen) Ethnologie, Anthropologie, Volkskunde Andere Folklore Liebrecht, Felix England Frankreich Spanien Paris

Zitiervorschlag: - Henninger an Hugo Schuchardt (4-04560). Heilbronn, 24. 05. 1884. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6504, abgerufen am 13. 11. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6504.


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GEBR. HENNINGER HEILBRONN a. N., 24 Mai 1884.
Verlagsbuchhandlung Nordbergstr. 20.
Herrn Professor Dr H Schuchardt in Graz

Hochgeehrter Herr!

Vom Inhalt Ihres geehrten Schreibens v. 20. d. haben wir zwar mit Interesse Kenntniß genommen, glauben aber nach reiflicher Erwägung aller Verhältnisse den von Ihnen erwähnten Veröffentlichungen nicht näher treten zu sollen.1 Wir haben darauf verzichten können, von irgend einer Seite Rathschläge darüber einzuholen, da unsere eigenen Erfahrungen die zu Beurtheilung der Absatzverhältnisse nöthigen Anhaltspunkte in ausreichendem Maße bieten. Diese Erfahrungen lassen uns aber ernstlich daran zweifeln, daß für die nächsten Publikationen ein den Herstellungskosten entsprechender Absatz zu finden sein wird. Die Zahl der eigentlichen Folkloristen, deren Namen ja in dem Almanac des trad. pop.2 verzeichnet sind, ist eine so beschränkte, daß, wenn sie auch alle sichere Käufer wären, auf sie ein Unternehmen dieser Art nicht gegründet werden kann; daß sie aber nicht alle Käufer sind, zeigt der Absatz von Liebrecht’s Zur Volkskunde,3 welches Werk ja für alle, die sich mit wissenschaftl. Volkskunde befassen unentbehrlich sein soll, aber auch für andere Leute Interesse haben sollte. Der Lokalpatriotismus scheint uns auch ein sehr unzuverlässiger Factor zu sein, wie wir an dem von einer Engländerin mit engl. Einleitung & Anmerkungen herausgegebenem Gorboduc4 erfahren der trotz vieler Bemühungen außerhalb England|2| und Amerika mehr Käufer gefunden hat als in diesen Englisch sprechenden Ländern, auch wenn schließlich der Absatz als befriedigend bezeichnet werden kann, so haben England & Amerika am Wenigsten dazu beigetragen. Besser wird es auch mit französ. & spanischen Bändchen nicht stehen; die Franzosen ärgern sich nur wenn außerhalb Frankreichs in ihrer Sprache etwas publicirt wird, was sie selbst hätten veröffentlichen können, kaufen aber nur was sie haben müssen. Daß in Spanien auf Bücherkaufen ebenso wenig zu rechnen ist, als bei uns aufs Kaufen spanischer Bücher, haben wir erfahren & daß die spanische Bevölkerung Amerikas hierin besser sein soll, können wir nicht glauben. So halten wir dafür, daß bei den erwähnten Folk-lore Publikationen nicht einmal ein gänzlicher Verzicht auf Honorar im Stande wäre, von dem zu erwartenden Absatz eine Deckung der Herstellungskosten erwarten zu lassen.

Wir bezweifeln nun nicht, daß von Paris aus diesen Ansichten widersprechende Gebote gemacht sein können; es wird ja dort Manches auf Volkskunde Bezügliche publicirt & die Sammlung Littérature populaire de toutes les nations5 mag wohl einen gesicherten Absatz solcher Höhe haben, daß der Verleger ein reichliches Honorar dafür zu zahlen vermag. Diese Sammlung, neben der, wenn wir nicht irren noch weitere bestehen, wird aber auch in und außerhalb Frankreichs den Absatz anderer ähnlicher Publikationen hemmen & es mag der Verbreitung in den interessirenden Kreisen |3| ein Anschluß an ein bestehendes Unternehmen mehr förderlich sein als der Versuch der Concurrenz mit einem solchen, wie es ja die von Ihnen projectirten Bändchen gegenüber der erwähnten französ. Sammlung wären.

Auch für das Wörterbuch wüßten wir uns keine günstigen Aussichten zu machen im Verhältniß zu den mit Herstellung eines Wörterbuchs verbundenen hohen Kosten & so müssen wir wie schon oben angedeutet aufrichtig bedauern, den erwähnten Projecten nicht näher treten zu können. Indem wir Ihnen noch strengste Discretion zusagen sprechen wir Ihnen unseren verbindlichsten Dank aus und empfehlen uns Ihnen mit vorzüglicher Hochachtung

und Ergebenheit
Gebr. Henninger


1 Genaues konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise hatte Schuchardt im Kontext seiner kreolischen Studien eine entsprechende Schriftenreihe angeregt. Vgl. seine Korrespondenz mit Henri Gaidoz, bes. HSA 035-03238 u. 027-03233.

2 Almanach des traditions populaires, Paris : Maisonneuve, 1882f.

3 Felix Liebrecht, Zur Volkskunde. Alte und neue Aufsätze, Heilbronn: Henninger, 1879.

4 Gorboduc or Ferrex and Porrex: a tragedy by Thomas Norton and Thomas Sackville. Ed. by L. Toulmin Smith, Heilbronn: Henninger, 1883 (Englische Sprach- und Literaturdenkmale des 16., 17. und 18. Jahrhunderts; 1).

5 Richtig: Les Littératures populaires de toutes les nations, traditions, légendes, contes, chansons, proverbes, devinettes, superstitions , Paris: Maisonneuve et Ch. Leclerc [puis], Maisonneuve et Larose, 1881f.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04560)