Gustav Körting an Hugo Schuchardt (07-05745)
von Gustav Körting
an Hugo Schuchardt
05. 06. 1893
Deutsch
Schlagwörter: Dankschreiben Publikationsanfrage Reflexion über das Rezensieren Reflexion über das Publizieren Diez, Friedrich Schuchardt, Hugo (1893) Schuchardt, Hugo (1886)
Zitiervorschlag: Gustav Körting an Hugo Schuchardt (07-05745). Kiel, 05. 06. 1893. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6356, abgerufen am 21. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6356.
Kiel, d. 5.6.93.
Sehr verehrter Herr Kollege,
Für die gütige Übersendung Ihrer Schrift über den mehrzieligen Frage- u. Relativsatz1 sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank. Wie selbstverständlich, habe ich die interessante Untersuchung mir größtem Interesse gelesen, um so mehr, als sie einen Gegenstand behandelt, welcher in Zusammenhang eines großen Komplexes syntaktischer u. sprachphilosophischer Dinge steht, die mich seit Jahren beschäftigen.
Hoffentlich werden Sie die Sache einmal weiter verfolgen u. „die wohlbehauenen Werksteine“ am richtigen Orte einsetzen. Voraussichtlich wird sich dann Ihre Arbeit zu einer Behandlung des Fragesatzes überhaupt erweitern, welcher |2| ja der Betrachtung nach so viele problematische Seiten darbietet. –
Nebenbei gefragt, was ist das für ein Epitheton „Graeciensia“, welches die Analecta führen? Mir ist ein derartiges Wort ganz u. gar unbekannt, u. möchte ich gern wissen, woher es genommen ist.2
Abermals möchte ich Sie zur Herausgabe Ihrer gesammelten Schriften anregen.3 Sie sind diese That wirklich den Fachgenossen, aber auch sich selbst schuldig. Wird sie unterlassen, so wird der gewichtige geistige Schatz, den Sie in langjährigen Studien gehoben haben, im Laufe der Jahre zu einem großen Theile in das Meer der Vergessenheit versinken, denn Recensionen u. |3| Gelegenheitsschriften werden so leicht vergessen; auch Zeitschriften gleichen, sobald sie das aktuelle Interesse verloren haben u. im Wesentlichen nur in Bibliotheken noch zu finden sind, oder sehr unbequem zugänglichen u. daher wenig besuchten Speichern, nicht immer strömende Quellen. Was fortleben u. fortwirken soll in der Litteratur, muß die handliche Form des Buches tragen. Andere Formen mögen als augenblickliche Unterkunft ganz angemessen sein, zu dauernder Wohnstätte fruchtbarer Gedanken taugen sie nicht, ja, ich möchte Akademieschriften u. dgl. Publicationen beinahe mit Särgen vergleichen, so hermetisch abgeschlossen scheint mir das, was in ihnen beigesetzt wird. Wirklich zugänglich sind |4| solche Veröffentlichungen (richtiger Verheimlichungen) ja nur den wenigen Beglückten, welche vom Verf. Sonderabzüge erhalten, u. außerdem noch den Bibliotheksbeamten. Alle übrigen Sterblichen müssen, wenn sie eine derartige Schrift eingehend lesen wollen, sich erst den – meist unförmlich dicken – Band aus einer Bücherei holen oder schicken lassen. Nun ja, man thut das ja gewiß oft genug, wenigstens unser einer, der die Bibl. ganz in der Nähe hat, aber man thut es doch meist nur in dringenden Fällen, unterläßt es, wenn man ohne dies fertig werden zu können hofft. Namentlich aber vor älteren Zeitschriften- oder Gesellschaftsschriften-Jahrgängen empfinden |5| Viele eine gewisse Scheu u. mißgönnen derartigen Buchveteranen das Verlassen des Bibliothekstandortes. Dazu kommt, daß Aufsätze in Zeitschriften in bibliographischen Uebersichten leicht übergangen werden (besonders Recensionen) u. in Folge dessen sich der Kenntniß aller derer entziehen, welche das Erscheinen dieser Arbeiten nicht, um so zu sagen, activ mit erleben. Ich habe z.B. in Diez’ gesammelten Schriften, als diese erschienen,4 Manches gefunden, was mir bis dahin gänzlich unbekannt geblieben war.
Nein, Sie müssen Ihre so vielverstreuten Geisteskinder sammeln in ein stattliches, an der üblichen Buchstraße gelegenes Haus! |6| Ich will Sie dabei gern mit Rath u. That unterstützen, so weit ich irgend kann, etwa durch Lesung einer Druckcorrektur, durch Anfertigung eines Sach- u. Wortindex u. dgl. Die erste Arbeit muß freilich die Auswahl der einzelnen Aufsätze sein. Auch dabei würde ich ja gern helfen, aber das geht nicht wohl an, da ich nur einen kleinen Theil der betr. Sonderdrucke besitze. Das gesammte Material werden wohl nur Sie selbst übersehen u. über eine vollständige desselben verfügen können.
Mit bestem Gruße
Ihr ergebenster
Körting.
1 Schuchardt, „Der mehrzielige Frag- und Relativsatz“, in: Analecta Graeciensia 1893, 195-217. Brevier/Archiv Nr. 266.
2 Der Sing. graeciense wurde von den Römern für die Bezeichnung der westlichen Aegaeis gebraucht, z.B. von Lucius Flavius Arrianus.
3 Körting denkt wohl an eine Fortsetzung und / oder Ausweitung von Romanisches und Keltisches: Gesammelte Aufsätze, Berlin: Oppenheim, 1886. Vgl. auch Brief 05742, in dem Körting schon versucht hatte, Hugo Schuchardt zu einem derartigen Sammelband zu motivieren; vgl. auch die dortige Fußnote.
4 Vermutlich Friedrich Christian Diez, Kleinere Arbeiten und Recensionen, hrsg. von Hermann Breymann, München: Oldenbourg, 1883.