Gustav Körting an Hugo Schuchardt (04-05742)

von Gustav Körting

an Hugo Schuchardt

Kiel

05. 04. 1893

language Deutsch

Schlagwörter: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie Lautgesetze Reflexion über das Publizieren Publikationsanfrage Gröber, Gustav Schuchardt, Hugo (1893) Spitzer, Leo (1922)

Zitiervorschlag: Gustav Körting an Hugo Schuchardt (04-05742). Kiel, 05. 04. 1893. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6353, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6353.


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Kiel, d. 5.4.93.

Hochverehrter Herr Kollege,

soeben habe ich Ihre inhaltsreiche Anzeige von Loth’s Mots latins etc. im neuen Hefte des Ltblt.‘s mit wahrem Genusse gelesen.1 Was Sie über „Lautgesetze“ sagen, verdiente mit goldenen Buchstaben über den Schreibtisch aller der Herren Fachgenossen eingegraben zu werden, welche so frisch u. freudig, so selbstbewußt u. selbstvergnügt, so naiv u. so verblendet forwährend mit "Lautgesetzen" wirtschaften u. sich wunderwas auf ihre Methode einbilden.2 Aber freilich die Herren scheinen unheilbar zu sein, sonst hätte ihnen doch schon durch Ihre Schrift gegen die Junggrammatiker der Staar gestochen werden müssen.3

Ich möchte Sie zu einem Gedanken anregen. |2| Sie haben so viele treffliche Buchanzeigen nicht nur fachwissenschaftlichen, sondern allgemein sprachwissenschaftlichen Inhaltes u. voll von geistvollen u. scharfsinnigen, dauernder Beachtung werthen Bemerkungen in alle möglichen Zeitschriften u. Gelegenheitsschriften verstreut. Dort sind sie, zum Theil wenigstens, nicht leicht zugänglich; jedenfalls aber droht ihnen, wie Allem, was in ephemeren Blättern erscheint, die Gefahr, frühzeitiger Vergessenheit anheimfallen zu sollen. Bewahren Sie doch die Kinder Ihrer Studien vor solchem Schicksale! Gewähren Sie ihnen ein dauerndes Heim in einem Buche! Kurz, veranstalten Sie doch eine Sammlung Ihrer verstreuten Schriften, geben Sie einige Bände „Opuscula“ oder „Vermischte Schriften“ oder wie Sie die Sammlung sonst nennen wollen heraus!4 Des Dankes Vieler – namentlich aber der Nachlebenden - |3| dürfen Sie im Voraus versichert sein. –

Ich hoffe, daß Sie mir diese Einmischung in Ihre litterarische Thätigkeit nicht verübeln werden. Mir liegt die Sache aber zu sehr am Herzen, als daß ich länger hätte schweigen können.

Für Ihre liebenswürdige Zuschrift anläßlich meines Formenbaues des frz. Vb.‘s5 sage ich Ihnen besten Dank. Daß auch Sie die wunderliche Hypothese Gröbers von einem Imperf. auf - ´ēam, ´īam verwerfen, hat mich zu erfahren gefreut.6 Hoffentlich wird das Unding nun begraben werden.

Mit collegialischem Gruße

Ihr ergebenster

Körting.


1 Besprechung von J. Loth, Les mots latins dans les langues britonniques (gallois, armoricain, cornique). Phonétique et commentaire avec une introduction sur la romanisation de l’île de Bretagne. Paris, Émile Bouillon, éditeur, 67, rue Richelieu 1892, 246 S. 8°, in: LB 1893, 3, Sp. 94-105.

2 Bes. Sp. 96: „A. a. O. heisst es dass Rousselot sich für ,Gesetzmässigkeit des Lautwandels‘ ausgesprochen habe; das ist nun entweder von gar keinem Belang, indem die Gesetzmässigkeit für jeden Mann der Wissenschaft das Attribut alles Geschehens ist, oder es ist in einem ganz willkürlichen und ungerechtfertigtem Sinn gesagt, nämlich von der ausnahmlosen Gültigkeit der auf der Oberfläche liegenden Uebereinstimmungen, denen man meist aufs Gerathewohl, nur um einen Namen für sie zu haben, den von ,Lautgesetzen‘ gegeben hat“.

3 In Anlehnung an die altertümliche Operation des Grauen Stars in übertragener Bedeutung von „jemanden aufklären“.

4 Erst das 1922 von Leo Spitzer herausgebrachte Hugo Schuchardt Brevier wird dieses Desiderat erfülen.

5 Körting, Formenlehre der französischen Sprache: 1: Der Formenbau des französischen Verbums in seiner geschichtlichen Entwicklung, Paderborn: Schöningh 1893.

6 Körting, Formenlehre der französischen Sprache. 2. Der Formenbau des französischen Nomens in seiner geschichtlichen Entwicklung, Paderborn: Schöningh, 1898. – Auf welchen Beitrag GröbersKörting sich hier bezieht, konnte nicht festgestellt werden.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05742)