Hugo Schuchardt an Emilio Teza (44-ST26)
von Hugo Schuchardt
an Emilio Teza
10. 03. 1896
Deutsch
Schlagwörter: D´Ovidio, Francesco Carducci, Giosuè Meyer, Gustav Ive, Antonio Lubin, Anton Farinelli, Arturo
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Emilio Teza (44-ST26). Graz, 10. 03. 1896. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6238, abgerufen am 09. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6238.
Graz 10 März 96.
Theurer Freund,
Wir Deutsche haben in diesen Zeiten mit Italien gefühlt. Freilich waren wir wohl fast Alle mehr für die friedliche als für die kriegerische Auffassung, mehr für d’Ovidio als für Carducci.1 Nun, etwas haben sich die Gemüther jetzt doch beruhigt und werden sich auf einem goldenen Mittelweg zusammenfinden.
Gestern habe ich an unser Ministerium das Gesuch gerichtet für mich die georgische Grammatik der Pariser Nationalbibliothek aus- |2| zuleihen.2 Ich möchte in diesen Tagen endlich dazu kommen meine paar Bemerkungen über die Kapuzinergrammatik zusammenzustellen und abzuschliessen, Ihnen die beiden κειμήλια3 zurückzusenden – um dann meinen Ausflug nach Neapel machen zu können.
Heute teile ich Ihnen Etwas mit, bezüglich dessen ich lange mit mir gekämpft habe ob ich es Ihnen überhaupt mittheilen soll. Es wird aber so besser sein; es könnten sonst irgendwelche Verlegenheiten oder Missverständnisse entstehen. Gustav Meyer wohnt noch neben mir; Briefe oder Broschüren die Sie mir für ihn schicken, kommen ihm sicher zu – Grüsse nicht. Ich habe vor etwa anderthalb Jahren |3| mit ihm gebrochen, und rede seitdem nichts mehr mit ihm. Von den dem Privatleben angehärenden Gründen schweige ich; es haben aber zwei Gründe den Ausschlag gegeben die alle meine Bekannten hier wissen, und ich halte Ihnen gegenüber damit nicht zurück weil Sie doch vielleicht einmal früher oder später von anderer Seite über diese Sache hören werden. Prof. Ive4 begann vor zwei Jahren seine Vorlesungen in italienischer Sprache (wie sein, zwar nicht direkter, Vorgänger Lubin5 sie immer gehalten hatte), meine besten Bekannten in der Fakultät protestirten dagegen,6 dass auch Meyer sich ihnen anschloss, wunderte mich bei seinen sonstigen Anschauungen – aber er that mehr, er spielte den Protagonisten gegen mich, der ich natürlich |4| für die italienische Vortragssprache bei Prof. Ive war, er schürte und hetzte unaufhörlich, und brachte es fast dahin dass ich mich mit denjenigen die mir am Nächsten standen, verfeindete. Das dauerte das ganze Semester über und kostete mir viel Arbeitskraft und =stimmung. Darauf, Ende 1894 folgte die Angelegenheit Farinelli.7 Derselbe kam hier um Habilitation ein – Meyer setzte durch einen Vertrauensbruch – indem er was ich ihm sub rosa8 gesagt hatte (dass F. die venia legendi dann nach Innsbruck übertragen lassen wollte) in pleno vorbrachte – er setzte es durch dass das Gesuch a limine abgewiesen wurde. Und nun haben wir bis auf den heutigen Tag gekämpft; ich bin aber Schritt für Schritt vorgedrungen, und ich denke, der Sieg ist mir nicht mehr zweifelhaft. Wenn Meyer an dem Mangel einer Maturitätsprüfung bei F. Anstoss nimmt, so sage ich Nichts; aber wenn er die Arbeiten F.‘s als unbedeutende und mittelmässige darstellt, als Produkte eines journalistischen Dilettantismus, wie er in Italien so gewöhnlich sei, den wir aber von unsern Universitäten fern halten müssten – dann bin ich so empört dass ich mich kaum bezähmen kann. – Sie begreifen dass ich Ihnen das nicht erzähle um eine Äusserung von Ihnen darüber zu erhalten.
Totus vester
H. S.
[Es folgt auf Bl. 5-8 bzw. 9, da es kein Bl. 6 gibt, eine vierseitige gedruckte Stellungnahme Schuchardts zur Habilitation im Allgemeinen, die sich in seinem Schriftenverzeichnis unter der Nr. 312 findet und deshalb an dieser Stelle nicht erneut mitgeteilt wird].
1 Carducci hatte sich geweigert, an einer Trauerfeier für die Gefallenen von Dogali teilzunehmen. In der Schlacht von Dogali hatten die Italiener am 25./26. Januar 1887 bereits eine erste Niederlage gegen die Äthiopier einstecken müssen. Teza war eng mit Carducci befreundet. Ein Brief Carduccis liegt im Schuchardt-Nachlass (01543).
2 Vgl. Schuchardts Brief 28-ST16 vom 30.10.1895.
3 Zimelien (seltene Bücher).
4 Antonio Ive (1851-1937), österr. Romanist, von 1893-1922 Kollege Schuchardts in Graz.
5 Anton [Antonio, Ante] Lubin (1857-1874), Schuchardts Amtsvorgänger in Graz, seit 1857 ao. Prof., von 1862 bis 1875 o. Prof. für italien. Sprache und Literatur.
6 Möglicherweise waren die Autonomiebestrebungen der österreichischen Provinzen mit überwiegend italienischem Bevölkerungsanteil der Grund für diese Haltung.
7 Einzelheiten finden sich in dem umfangreichen Briefwechsel Farinellis mit Schuchardt, Lfd.Nr. 01-02875 - 130-03004. Vgl. aber auch Schuchardts Brief 30-s-n vom 23.12.1894 an Wilhem Gurlitt oder den 11-HS_HZS09 vom 6.1.1895 an Hans von Zwiedineck-Südenhorst, u.a. mehr.
8 „Unter dem Siegel der Verschwiegenheit“. An den Decken von Konventsälen, Beichtstühlen u.ä. waren sog. geschnitzte oder gemalte Schweigerosen angebracht, die auf das Gebot verwiesen, das hierunter Gesprochene nicht nach außen dringen zu lassen.
Faksimiles: Biblioteca Nazionale Marciana - Fondo Teza (Sig. ST26)