Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (507-275)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

01. 08. 1925

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basques Académie des inscriptions et belles-lettreslanguage Esperanto Schopenhauer, Arthur Urquijo Ybarra, Julio de Meillet, Antoine Saussure, Ferdinand de Couturat, Louis Ostwald, Wilhelm Nyrop, Margarethe Nyrop, Kristoffer Webster, Wentworth Saint-Jean-de-Luz Urquijo, Julio de (1925)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (507-275). Graz, 01. 08. 1925. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6200, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6200.


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Graz, 1. Aug. '25

Lieber Freund,

Ihr Brief vom 29. Juli kam mir besonders erwünscht, und ich beantworte ihn sofort, vor allem um gewisse übertriebene Vorstellungen von meinem leiblichen und geistigen Befinden zu berichtigen: Der kleine Schlaganfall von vorigem Jahre hat sich zwar im großen Ganzen gebessert, hat aber doch noch einige Spuren hinterlassen, und dazu kommen die alten |2| Beschwerden, Neurasthenie und Rheumatismus in verstärktem Maße. Dieser kurze Gesundheitsbericht wird Sie darüber belehren was man von mir erwarten darf. Nämlich so gut wie Nichts. Ich träume, dusele, blättere in irgend einem Buche das mir naheliegt (im räumlichen Sinne), nehme mir vieles und wichtiges vor, wie die Ordnung meiner Bibliothek und meiner Papiere, muß aber immer, im besten Falle nach einer halben Stunde, infolge von Ermüdung aufhören. Das einzige, was ich seit lange [sic] ans Licht gebracht habe, sind die beiden baskologischen Kleinigkeiten die Sie kennen. Natürlich beschäftigen mich mancherlei wissen|3|schaftliche Gedanken ohne daß ich eine wirkliche Arbeit daraus entwickeln könnte. Das sind die „préparations de mes paralipomena“ wie Sie sagen. Allerdings denke ich daran, Unfertiges, Unreifes, Vereinzeltes, das ich in meinen Papieren noch vorfinde, wie es mir vorkommt, in der RBa abzulagern, eine oder ein paar Seiten. Der Titel Paralipomena schien mir dafür nicht unpassend: aber er ist, wenn ich daran denke daß er z.B. für Schopenhauers Sammlung diente, recht unbescheiden, und anderseits wird ihn, da er auch biblische Bücher ziert, Urquijo bedenklich finden. Qui vivra verra!

|4| Unter Ihren Mitteilungen interessiert mich besonders die welche an Meillet anknüpft und mich Saussure gegenüber stellt. Er sagt nur die Wahrheit, aber nicht die ganze. Ich sehe im Leben der Sprache, wenn ich in die Tiefe gehe, nur Übergänge, keine Gegensätze. Seit meiner Gymnasialzeit bis heutzutage habe ich aber daneben eine große platonische Liebe zur höheren Mathematik gehabt und sie ist dann und wann zu ernsterem Studium gediehen, aber nur in autodidaktischer Form. Als Student trieb ich Infinitesimalrechnung, richtete sogar (1860) in heller Begeisterung ein Sonett an ihren Schöpfer, Leibniz, wo ich nicht nur Abszisse und Ordinate, sondern auch die Null poetisierte. Gerade in meiner Zurückgezogenheit, wenn auch nicht in den letzten Zeiten, umgab ich mich gern mit |5| Werken über die Mengenlehre. Auch mit L. Couturats Schriften – ich stand mit ihm wegen des Esperanto im Briefwechsel – machte ich mich vertraut. Aber trotzdem wird man meine sprachwissenschaftlichen Arbeiten nicht von mathematischem Geiste durchtränkt, kaum angefeuchtet finden. Vor Jahrzehnten wollte ich in W. OstwaldsAnnalen der Naturphilosophie einen Aufsatz schreiben: Mathematik undSprachwissenschaft und da würde die Sachlage sich geklärt haben, ich wollte dartun wie viel und wie wenig beides miteinander gemein haben. Vielleicht bleibt mir noch Zeit dazu. Ich wurde letzthin an diese Dinge erinnert, als ich den Nachruf Langlois’ in der Acad. d. I. et B. l. auf Louis Stavet las, dessen Mathematizität er pries. – Wäre ich jung und kräftig, würde ich gern – aber es ist ganz unmöglich – |6| irgendwie an der Axular-feier mich beteiligen; wollen Sie die Güte haben, einen Gruß von mir in Ihren Vortrag einzuweben? Ich hatte gleich zu Anfang meines baskischen Studiums mich durch Axular angezogen gefühlt, wollte dann abwarten bis Urquijo die neue Ausgabe der ersten Auflage

* In diesem Augenblick läutet es und der Briefträger bringt Ihre vier Hefte und für diese sage ich Ihnen vorderhand nur meinen aufrichtigsten Dank, damit der Abgang dieses Briefes – morgen ist Sonntag – nicht stark verspätet werde – Ich fahre fort.

* verwirklicht hätte; die einzelnen Blätter in der Reproduktion hatte ich ja. Das Erwartete scheint nun aber nicht mehr zu kommen; so muß ich denn für mich sagen: ... voluisse sat est. |7| Urquijos’ Schrift: Menéndez Pelayoy ...1 habe ich vor einiger Zeit erhalten und so weit mir der Gegenstand zugänglich war, habe ich sie gewürdigt. Ich verstehe eben als Deutscher das Interesse am Masonismus nicht; ich kann mich nicht entsinnen über Freimaurertum im guten oder schlechten Sinne reden gehört zu haben

Vor einigen Tagen schrieb mir meine langjährige Freundin, mit der ich seit sicher einem Vierteljahrhundert in dänisch-deutschem Briefwechsel stehe, sie sei, laut einer Ministerdepesche, zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden. Es ist das wohl etwas Außerordentliches? sagt man chevalière oder wie Maria Theresia als nostra rex begrüßt wurde, chevalier? Ich vergaß, den Namen der Dame zu nennen: Marg. Nyrop, Frau meines Freundes Kristoffer Nyrop. – Ich sehe mit dem Schreiben geht es jetzt nicht weiter; also Schluß und herzlichen Gruß!

Ihr ergebener

HSchuchardt

|8| Paralipomena.

– Über Saussure: Schuchardt zur Philologie s. A. Kluyver im Jaarboek der Amsterdamer Ak. d. W. 1923–1924 –

– Ist wohl Mlle G. Webster St Jean-de-Luz die Tochter meines W. Webster? und zwar die die ich persönlich kenne? –

– Im Febr. 1925 wurde in der Acc. dei Lincei vorgelegt

Porta, E. – La lingua Basca Pres. dal Secretario

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1 Julio de Urquijo e Ibarra: Un juicio sujeto a revisión: Menéndez Pelayo y los Caballeritos de Azcoitia. San Sebastián: Martín y Mena, 1925.

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