Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (411-232)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

18. 12. 1921

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basques agglutinierender Sprachbaulanguage Baskischlanguage Iberischlanguage Indoeuropäische Sprachen Gavel, Henri Vinson, Julien Uhlenbeck, Christian Cornelius Urtel, Hermann Baskenland Wales Schuchardt, Hugo (1907)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (411-232). Graz, 18. 12. 1921. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6103, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6103.


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Graz 18.12.21

Lieber Freund,

Herzlichen Dank für die gestern eingetroffenen Sendungen, den Brief am Mittag, die Zeitschrift am Abend. Ich habe mich sofort in diese vertieft, das heißt – meiner schwachen Augen und der schlechten Beleuchtung halber – nur in das Erdera. Unter anderem stieß ich auf Gavels Aufsatz über den Zylinder im Baskenland; das erinnerte mich daran daß in Wales die Bäuerinnen in Gala einen hohen Hut tragen – der stammt offenbar von dem gleichgeformten Reithut der Damen. Doch wie er bei diesen mit der Zeit geschwunden ist, so vielleicht auch bei jenen – ich sah ihn da 1875.

Meine Korrektur von dem Aufsatz in den RB habe ich in diesen Tagen zu|2|rückgesendet mit einem Begleitschreiben an U. Ich danke meinen beiden Vor-korrektoren; die Druckerei hat leider ein etwas mangelhaftes Material, sie besitzt nicht einmal Quantitätszeichen, ohne die es ja keine lateinische Elementargrammatik gibt. Sie hat ganz phantastische Surrogate dafür (so nurũka1 für nurūka).

In bezug auf publiertza werden Sie Recht haben; aber deshalb ist eine Mitwirkung von lerts̃un oder ähnl. nicht ausgeschlossen, die meisten Sprucherscheinungen sind ja komplexer Natur.

Das Verhältnis der baskischer [sic] zur iberischen Sprache auf 8 Seiten darzustellen ist eine sehr verlockende Aufgabe, gerade weil es eine so schwierige ist. Man muß alles Gewagte vermeiden, aber ebenso die Erwähnung von Unwesentlichem, Nebensächlichen [sic], kurz gesagt ebenso Klippen wie Untiefen. Freilich haben Sie auch einem Zusammenstoß mit Vinson aus dem Wege zu gehen. Ich möchte Ihnen |3| daher raten, die Klassifikationsfrage überhaupt nicht zu berühren. Für mich sind monosyllabisch, agglutinierend, flexivisch nur Aggregatzustände (und Uhlenbeck hat diesen Ausdruck gebilligt), keine bestimmten Klassen. Das Baskische könnte man übrigens auch mit Pott als transnormal bezeichnen. Worte, Worte! Was Vinson 9ff. über diesen Punkt sagt, ist zum Teil richtig, zum Teil falsch, zum Teil unklar; was meint er z.B. mit der monosyllabischen Gruppe „presque entièrement disparu, au centre de l’Allemagne!? Ich bin ihm ebenso großer Feind des Ausdrucks indogermanisch wie er, aber das: que les allemands avaient vaniteusement appellées indo-germaniques, das ist nicht richtig, wohl aber haben sie an dem Ausdruck der aus einer dunkeln Ecke hervorgekrochen war, unvernünftigerweise festgehalten und unvernünftig haben ihm die Andern ihr indo-europäisch gegenübergestellt. Ich sage, wenn ich durch keine Rücksicht gebunden bin, arisch und unsere |4| Anthropologen und Ethnologen sprechen von Ariern. Auch Vinson kannte einst nur langues ariennes et anariennes; warum hat er es aufgegeben? Aber dergleichen hängt zusammen mit seiner Ansicht que la linguistique est une science exclusivement française (S. 11 unten). Ebenda (S. 12 oben) heißt es, Inkorporation und Polysynthétisme seien keine spezifischen Kennzeichen; aber ist es etwa die Agglutination? Der Unterschied zwischen bask. gizon-i und lat. homin-i, oder bask. d-erra-k und lat. dic-is? Vinson hat mir den fehlenden Bogen nicht geschickt; aber bitte, erinnern Sie ihn nicht daran.

Auf Ihre Frage wegen der iberischen Inschriften hätte ich Ihnen sofort antworten können; sie eignen hauptsächlich dem jetzigen katalanischen Gebiet; aber eine Schlußfolgerung wage ich nicht daraus zu ziehen. Übrigens werde ich demnächst einmal bei den Spaniern nachfragen ob seit 1907 (Iber. Dekl.) keine iberischen Inschriften mehr gefunden worden sind. Ich hätte Lust noch einmal auf die iberische „Frage“ zurückzukommen, so lange eben meine Augen noch dazu fähig sind. Vorderhand wüßte ich zu dem Iberotar ala ez? nichts Neues zu sagen.

Ich habe gestern eine Korrektur von romanischen Etymologien für die Zeitschrift|5| abgeschickt; darin waren einige baskischen Wörter erwähnt, tholdo, totolo, tululu (im Zusammenhang mit port. doudo usw.) und tos̃a u.ä. (bei dem ich nur die Ähnlichkeit mit deutschen Wörtern wie Dose, schweiz. Tausen u.ä. feststellen konnte, nicht die Art der Verwandtschaft). Dazwischen steht eine kleine Notiz über die span. Patronymika auf –z, in welcher ich eine neue, und nicht sehr verwickelte Erklärung vorlege. Ich wünschte das Urteil der Spanier darüber zu vernehmen; aber das betreffende Heft (das 6te des Jahrgangs XLI) wird nicht bald erscheinen (wir haben noch das Doppelheft 4 und 5 zu erwarten).

Ich hatte die Absicht gehabt an Urtel, auch mit Beziehung auf Sie, zu schreiben; aber im selben Augenblick erhielt ich die Nachricht von anderer Seite daß er in schwerer Sorge wegen der Gesundheit seiner Gattin sei. Bitte, schreiben Sie deswegen auch ihm etwa nicht.

Mit herzlichem Gruß

Ihr dankbarer

H. Schuchardt


1 Sobre la u y bajo la tilde hay un punto.

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