Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (376-212)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

22. 10. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basques Baskische Dialekte - Baskische Dialektologie Gavel, Henri Uhlenbeck, Christian Cornelius Bonaparte, Louis Lucien Saroïhandy, Jean-Joseph Etcheverry, Auguste Urquijo Ybarra, Julio de Sare San Sebastian

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (376-212). Graz, 22. 10. 1920. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6055, abgerufen am 01. 04. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6055.


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Graz, 22/23 Okt. 20.

Lieber Freund

Ich habe Ihnen noch für Ihre letzte Sendung (Ald. 30.9)*) zu danken: die Korrektur der Gavelschen Abhandlung, die leider an Kopf und Schwanz etwas gestutzt ist; besonders die Exposition geht mir ab. Manches ist mir vorderhand unklar, so der Unterschied, der in sprachlicher Hinsicht zwischen dem Béarn und dem Gebiete von Bayonne gemacht wird. Die Arbeit hinterläßt bei mir einen sehr günstigen Eindruck, soweit ich sie überschauen kann; G. geht gründlich zu Werk, vielleicht etwas gar zu gründlich, seine Neigung zur Ausführlichkeit ist mir schon bei andern Arbeiten von ihm (in der RB) aufgefallen. Auf das Verhältnis von u (vor weichem r) und ü|2| im Soulischen wollte ich bei nächster Gelegenheit zu sprechen kommen um eine Ergänzung zu meiner nun schon alten Besprechung von Uhlenbecks Arbeit zu geben. Aber ich bin doch nicht sicher daß er zuerst diese Erscheinung bemerkt hat. Sollte nicht etwa schon der Prinz B. dies irgendwo getan haben? Sie werden das wissen.

Saroïhandy hatte vor einiger Zeit mich von neuem wegen d-, z-, l- interpelliert; ich ihm erwidert daß ich zunächst wissen möchte, ob er diesen Anlauten eine Doppelfunktion (personale und temporale) beilegt und welche ihm die ursprüngliche sei. Er antwortet mir nun (von Sauveterre 27.9 – 7.10): Il est évident que pour moi d-, z-, l- n’auraient pas une double fonction… ... uniquement des caractéristiques temporelles.“ Mir bliebe nichts übrig als schon Gesagtes zu wiederholen und die Sache liefe in einen „Streit um des Kaisers Bart“ aus. Vielleicht haben Sie die Güte sich gelegentlich mit ihm darüber zu verständigen. |3| Nehmen Sie nago, dago, zegoen, so steht für die beschreibende Grammatik das d- der zweiten Form sowohl in personaler Funktion (gegenüber dem n- in der 1.P.), wie in temporaler (gegenüber dem z- des Präteritum). Präsens und Präteritum sind aber durch die Vokale a und e geschieden. Saroïhandy meint allerdings auf Formen wie dezan = dazan gestützt, daß dieser Unterschied nicht von Bedeutung sei, nicht ursprünglich. Darin kann ich ihm, schon aus statistischen Gründen, nicht beipflichten. Auf der andern Seite zeigt ja das z- dadurch daß es im Bizkaischen zu fehlen pflegt seine Entbehrlichkeit zur Kennzeichnung des Präteritums an. Und in nago würde kein Merkmal des Präsens enthalten sein, nur in dago; warum? Eine Vers Dechepares von dem S. eine neue Erklärung gibt, will ich neuerdings erwägen; vorderhand scheint mir die |4| Wortstellung für die Auffassung gendec (für gendearequi?)→ yrrigarri = avec des gens facétieux nicht günstig zu sein. S. erkundigt sich auch liebenswürdiger Weise nach meinen Saraer Aufzeichnungen. Nun Sie wissen daß diese Etcheverryana im Wesentlichen längst fertig gestellt sind; es fehlen nur noch gewisse einleitenden Ausführungen über die baskischen Mundarten und sodann ein Kapitel über die Betonung. Das aber wäre im Grunde eine bloße Fragesammlung, ein „questionnaire“ geworden und ich konnte mich nicht entscheiden wie ich es damit halten sollte. Sonst wäre die Arbeit wohl schon im verflossenen Sommer druckfertig geworden. Ein Glück daß das nicht geschehen ist! Ich hätte sie an die Berliner Akademie geschickt und da wäre sie wohl als eingeliefert bezeichnet worden, würde aber „ad kalendas graecas“ liegen geblieben |5| sein. Die Akademie hat nämlich gegen Ende des Sommers erklärt, daß sie wegen Papiermangels und Druckkosten, bis darin Abhilfe geschaffen sei, streike. Sie veröffentlicht also zunächst gar nichts mehr, nicht einmal die Sitzungsberichte, geschweige denn die Abhandlungen; für die letzteren war meine Arbeit bestimmt, des Formats wegen, da der baskische Text und die deutsche Übersetzung nebeneinander zu stehen hätten.

Das Wiener Exemplar der Bonaparteschen Karte (das de Urquijo gehört) sollte mir Anfang dieses Monates zugeschickt werden; ich habe jetzt darum gemahnt, ich könnte und möchte mich jetzt, an der Hand auch Ihrer gedruckten und schriftlichen Mitteilungen, wieder mit baskischer Sprachgeographie beschäftigen.

Die Revista scheint nur langsam vorwärts zu gehen. Das liegt wohl hauptsächlich daran daß de Urquijo nur zeitweise in San Sebastián weilt. Ist denn |6| das Befinden seiner Gattin nicht besser geworden? – ich frage in erster Linie aus Interesse an den Personen. Es hat mich gewundert daß Burgos bei Erkrankung der Luftwege ein günstiges Klima bilden könnte. Ich habe immer von der Rauheit des dortigen Klimas gehört, und entsinne mich, mit Bezug darauf, eines Scherzes andalusischer Art, den ich irgend einmal in einem spanischen Buch gelesen habe: wenn die Burgoser von der Kanzel herab die Schrecken des höllischen Feuers geschildert hören, reiben Sie sich die Hände: „Ah, dort muß es schön sein!.“

Ich wünsche Ihnen Glück zum Abschluß Ihrer Aldudes-studien und grüße Sie herzlichst.

Ihr

H. Schuchardt

*) und eine Karte vom 11.10

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