Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (360-23) Hugo Schuchardt Katrin Purgay Institut für Sprachwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2022 Graz o:hsa.letter.6038 360-23 Hugo Schuchardt Archiv Herausgeber Bernhard Hurch Karl-Franzens-Universität Graz Spain Bizkaia Bilbao Euskaltzaindia - The Royal Academy of the Basque Language Fondo Lacombe (Euskaltzaindia) 23 Hugo Schuchardt Papier Brief Graz 1919-11-23 Katrin Purgay 2017 Die Korrespondenz zwischen Hugo Schuchardt und Georges Lacombe Hugo Schuchardt Archiv Bernhard Hurch

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Hugo Schuchardt Archiv

Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.

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Hugo Schuchardt Graz 1919-11-23 Georges Lacombe Austria Graz Graz 15.45,47.06667 Korrespondenz Hugo Schuchardt - Georges Lacombe Korrespondenz Revue internationale des études basques agglutinierender Sprachbau Positivismus (Sprachwissenschaft) Idealismus (Sprachwissenschaft) Baskisch Iberisch Keltische Sprachen Germanische Sprachen Französisch Wissenschaft Sprachwissenschaft Brief Deutsch
Graz 23.11.’19 Lieber Freund,

Ich schicke eben eine Reihe von Bemerkungen zu Vinsons Aufsatz Syntaxe basque (das Heft der Rev. ist mir erst jüngst in die Hände gekommen) an Urquijo behufs Abdrucks, falls er keine Einwendung dagegen macht. Ihnen aber teile ich gewisse allgemeinere Betrachtungen mit, die sich auf denselben Gegenstand beziehen und die Sie an Urquijo weiter geben mögen. Es scheint mir wünschenswert daß Sie beide über mein Verhältnis zu Vinson im Klaren seien.

Persönlich habe ich nicht das geringste gegen ihn; ich bin ihm für mancherlei erwiesenes Gute dankbar, besonders auch dafür daß er bei unsern polemischen Auseinandersetzungen nie in einen kränkenden Ton verfallen ist. Als Baskologen, das Wort im weitesten Sinne genommen, stelle ich ihn natürlich weit über mich; er weiß vom Baskischen und baskischen Dingen hundertmal mehr als ich. Aber als Sprachforscher, auch in bezug auf das Baskische vermag ich nicht ihn für voll zu nehmen. Auch bin ich in dieser Hinsicht der Ältere. Schon 1860 saß ich zu den Füßen jenes A. Schleicher, der bei Vinson und seinem Freunde A. Hovelacque – wenn ich nicht irre – in hohem Ansehen stand. Ja, die sprachwissenschaftlichen Anschauungen Vinsons machen mir den Eindruck als seien sie seit jener Zeit erstarrt; ich nehme keinen Fortschritt wahr und aus seinen Schriften weht mich eine altväterische Luft an. Wer spricht denn heutzutage von agglutinierenden Sprachen so wie er es tut? Er wiederholt immer was er schon vor Jahrzehnten behauptet hat ohne die Argumente seiner Gegner zu berücksichtigen. Nehmen Sie z.B. den Satz auf S. 59: „Il est remarquable .....“ Wie sollen wir denn ligurische Spuren im Bask. nachweisen können wenn wir vom Ligurischen nichts wissen? Wie kann V. hierbei das Iberische nennen, da er die iberischen Anklänge des Baskischen als Entlehnungen, nicht als Zeichen der Sprachverwandtschaft aufgefaßt hat? Sind nicht verschiedene keltische Elemente im Bask. nachgewiesen worden? Und ebenso germanische ? Wo und wann haben sich denn die Griechen[,] die Punier, die Araber mit den Basken berührt? Alles das ist schon vor Jahren erledigt worden.

Ich habe öfter versucht, mir die wissenschaftliche Physiognomie V.s zu veranschaulichen; ich bin auf zu viel Widersprüche gestoßen. Ich glaube daß er doch immer meint ex cathedra zu sprechen, sich dessen aber nicht völlig bewußt ist und daher hypothèses discutables und dgl. zugibt. Es ist als ob er dächte: es lohnt sich nicht mit Leuten zu diskutieren die das Baskische weniger beherrschen als ich. Er faßt alle Dinge mit einer gewissen „Nonchalance“ an, – um mit einer Fischartschen (wohl aus Rabelais stammenden) Wendung zu reden „wie man einen Grindigen lauset“, und läßt sie bald fallen. Und dabei ist seine Darstellung sehr „décousue

Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit besonders auf den Schluß von S. 68 unten an. Ich habe nicht das Geringste gegen die Höhe des Urquijo gespendeten Lobes einzuwenden, im Gegenteil; denn die Art des Lobes läßt keinen Sachkundigen vermuten. Was versteht denn V. unter empirisme? Man könnte glauben ein Gegner des empire habe den Ausdruck davon abgeleitet. Und wie ist das Verhältnis zur science positive aufzufassen? Ob V. wohl das Büchlein von K. Voßler, einem unserer gescheitesten Romanisten, kennt: „Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft“? Und endlich: La méthode expérimentale! Welche Experimente lassen sich denn in der Sprachw. machen? Thumb und Marbe haben allerdings solche gemacht, aber es ist so gut wie nichts dabei herausgekommen. Ich denke hier hat Zolas Roman expérimental auf V. eingewirkt[.] Ist es das was er sonst la bonne méthode nennt? Alles das sind Schlagworte die ein wenig gedankenlos vorgebracht werden. Und nun die Exemplifikationen V.s! Deux noms justifieront ces appréciations. Daß Chaho der Vertreter der amateurs fantaisistes usw. sei, zugestanden! Aber gehört Bonaparte zu den Leuten dont les intentions étaient bonnes, mais qui n’avaient ni la préparation spéciale, ni les connaissances générales nécessaires? Das steht sogar im Widerspruch zu dem was V. selbst sagt (69 f.), wo übrigens die Auslassung über des Prinzen mangelhaftes Französisch gar nicht am Platze ist. Wenn er dann von den erreurs de raisonnement des Prinzen spricht, so denkt er wohl kaum daran wieviel dergleichen bei ihm selbst zu finden sind. Es ist doch eine absichtliche Verkleinerung der Verdienste B.s wenn er sie auf die spécimens très-intéressants des variétés peu connues einschränkt. Das Verbe basque nicht zu erwähnen, ist ebenso schlimm, oder noch schlimmer, als Vinsons Bibliographie b. nicht zu erwähnen.

Am Schluß sagt V.: on ma [sic] quelquefois reproché la sévérité de mes appréciations. Ich glaube man hat ihm, und mit Recht, vorgeworfen daß er strenge Urteile gefällt hat ohne sie wirklich zu begründen. Und was er dann über sich selbst sagt, kann ich nicht unterschreiben, obwohl er, wie ich schon berührte, in der Polemik – wenigstens mir gegenüber – immer maßvoll gewesen ist.

Auch ich habe wie Vinson von sich sagt, nur das Interesse der Wissenschaft im Auge, wenn ich diese für die Öffentlichkeit nicht bestimmten Betrachtungen niederschreibe; sie sollen mich nötigenfalls, nach meinem Tode, rechtfertigen, wenn man in den Bemerkungen zur Abhandlung Vinsons Nörgelei oder Gehässigkeit erblickte.

Ich brauche keine Rücksicht auf Vinsons Alter zu nehmen, ich bin ja 1½ Jahre älter als er (wann ist er eigentlich geboren?). Aber wenn er durch seine schlechten Augen (Sie schrieben mir einmal davon) in seinem Arbeiten behindert sein sollte, so würde ich, umso mehr da ich selbst in ähnlicher Weise, zu leiden beginne, darauf verzichten die Druckfehler in seinen Schriften zu beanstanden, die übrigens von jeher bei ihm zu finden waren (recht viele nun in seinen Aufsätzen in der Rev.). Sicher gehört aber nicht dazu: das mittlere der drei letzten Worte: sed major veritas – Es muß heißen: sed magis amica veritas

Mit herzlichem Gruße Ihr HSchuchardt