Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (355-21)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

04. 09. 1919

language Deutsch

Schlagwörter: Revista Internacional de los Estudios Vascos Baskische Dialekte - Baskische Dialektologie Baskologielanguage Iberischlanguage Baskisch Urtel, Hermann Meyer-Lübke, Wilhelm Urquijo Ybarra, Julio de Bonaparte, Louis Lucien Vinson, Julien Menéndez Pidal, Ramón Basset, René Cohen, Marcel Schuchardt, Hugo (1915) Urtel, Hermann (1919) Schuchardt, Hugo (1920)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (355-21). Graz, 04. 09. 1919. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6033, abgerufen am 22. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6033.


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Graz, 4. Sept. 1919

Lieber Freund;

Schon lange wollte ich und sollte ich Ihnen schreiben; aber ich fühle mich körperlich und geistig so matt, gemütlich so niedergedrückt daß ich bisher nicht die Kraft dazu gefunden habe. Nun scheint es mir aber doch durchaus notwendig daß ich meine Pflicht erfülle, und so raffe ich mich denn krampfhaft auf.

Ihre Mitteilungen über endellegatu sind mir sehr willkommen, besonders die zuletzt erhaltenen über das Zeugnis Pouvreaus. Da nach Chaho endegl- „kantabrisch“ ist, so muß man es in Bizkaia und Guipúzkoa suchen.

Leider kann ich Ihnen so wenig wie von meiner ligurisch-iberischen Abhandlung ein Exemplar von meinen Besprechungen der |2| bewußten Arbeiten von Urtel und von Meyer-Lübke schicken (auch an Urquijo nicht); ich besitze soviel ich sehe (vielleicht aber findet sich noch etwas) nur je ein Stück. Das ist mir nun besonders mit Rücksicht auf die Urtelsche Arbeit sehr unangenehm; ich habe sie als verfehlt bezeichnen müssen, wenn auch in möglichst schonender Weise da mir der Verfasser sehr wert ist. Der Fehler besteht darin daß er Iberisches auf einem Boden gesucht hat, wo überhaupt keine Anzeichen vorliegen daß solches zu finden ist; und gerade als Romanist hat er manches übersehen. Es könnte sich leicht ein Widerspruch zwischen uns ergeben wenn Sie, wie doch nicht anders zu erwarten ist, in wohlwollender Weise die Abhandlung besprächen. Ich kann auf einzelnes nicht eingehen (ich entsinne mich nur daß für ein einziges der von U angeführten südfranz. Wörter, ein Pflanzennamen ist es, baskischer Ursprung (von andre) überhaupt denkbar ist.).

|3| Meine schon vor längerer Zeit abgeschickte Besprechung von Urtels letzter Arbeit (über baskische Onomatopoesis) scheint in allernächster Zeit noch nicht ans Licht treten zu können; sie ist allerdings ziemlich umfangreich. Im Ganzen habe ich nicht so sehr wie im Einzelnen Ausstellungen zu machen. Sie wird vermutlich schon in Ihren Händen sein.

Kürzlich schickte ich Ihnen einen kleinen Artikel über die bask. Wörter für „Schaf“ und „Lamm“. Wenn Sie dazu, etwa aus den Bonaparteschen Papieren, etwas nachzutragen haben, so bitte ich das in der Revista zu tun. Ich möchte noch hinzufügen bi-lor-azi, -še, -tše Kalb, zu gleichbed. bi-larr-ausi usw. ~bi-ld-ots., Lamm.

Eine Frage die mich schon vor geraumer Zeit beschäftigt hat und mich in einiger Zeit (die Sache ist nicht dringend) wieder beschäftigen wird, bezieht sich auf das Verhältnis der Sprachkarte des Prinzen Bonaparte zu der von ihm im Verbe Basque |4| aufgestellten Klassifikation der bask. hdd.1 Hier herrscht Übereinstimmung; aber keine solche mit etwas älteren Äußerungen B.s über diesen Gegenstand (Province). Man möchte denken die 1863 gedruckte, aber erst 1869 veröffentlichte Karte habe zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Korrektur erfahren. Aber wie.? Für mich handelt es sich zunächst darum zu wissen welche von den beiden bei Vinson beschriebenen Ausgabe [sic] die in meinem Besitz befindliche ist.

1. Ich habe bisher nicht feststellen können ob meine Karte gravée oder lithographiée ist.

2. Von wo an ist die Messung bei Vinson genommen, von dem äußern oder inneren Rahmen?

Vom äußersten Rahmen aus gemessen hat meine Karte 95,7 zu 116,8. Das wäre = 99:119

[Zeichnung] Gradmessung

Ich finde Vinsons Angaben ungenügend und ungenau. Von den teintes graduées habe ich keine deutliche Vorstellung; auf meiner Karte sind die zones mixtes (Südhochnav. Aezc. Ronc.)2heller gefärbt. Das Bemerkenswerteste an meiner Karte ist daß in der Ecke rechts unten eine offenbar zunächst ganz leere Stelle mit der Légende. überklebt ist, |5| in zwei Streifen: [Zeichnung] Zeilen, die nach rückwärts, (also nur gegen das Licht gehalten, sichtbar) breite schwarze Umränderung haben. Vielleicht können Sie mir vorderhand einige Fingerzeige in dieser Angelegenheit geben.

Verschiedenes Baskologische, u.A. den Aufsatz von Menendez Pidal, habe ich noch nicht lesen können.

Zum Schluß etwas, was die Wissenschaft nur indirekt angeht. Ich bin nicht ganz sicher ob unsere beiderseitigen Briefe alle ans Ziel gelangen. Ob sie offen sein müssen, weiß ich auch nicht. Ein Vorfall hat mich mißtrauisch gemacht. Ich schickte vor einiger Zeit ein paar berberologische Arbeiten als Drucksache an französische Gelehrte. In einem Fall kam sie richtig an; denn R. Basset quittierte sie sofort mit einer Drucksendung. An Marcel Cohen hatte ich mit genauer Angabe der Adresse (soweit sie mir bekannt war) geschickt; die Sache kam zurück mit verschiedenen nichts sagenden (d.h. nichts erklärenden) Stempeln, aber über den richtigen Briefmarken stand |6|par étranger…? Ich schrieb eine Karte an M. Cohen in der ich ihm die Sache mitteilte; auch sie kam mir zurück, ohne Angabe des Grundes ….. Verzeihen Sie, eben gelingt es mir doch ein Inconnu zu entziffern. Also ist das Vorherige gegenstandslos. Es könnten ja wohl unsere Briefmarken beanstandet werden. Zu alledem ist jetzt bei uns von einer Wiedereinführung der Briefzensur die Rede.

Mit herzlichem Gruß

Ihr sehr müder

HSchuchardt


1 Hauptdialecte?

2 Estas abreviaciones hacen refencia a dos dialectos vascos; el Aezcoano (perteneciente al valle de Aézcoa, y el Roncalés, perteneciente al valle de Roncal).

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