Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (338-182)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

31. 01. 1914

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basqueslanguage Baskischlanguage Kaukasische Sprachen Uhlenbeck, Christian Cornelius Saroïhandy, Jean-Joseph Rhamm, Karl Winkler, Heinrich Trombetti, Alfredo Schulten, Adolf Vinson, Julien Meillet, Antoine Meinhof, Karl Westermann, Diedrich Hermann Sayce, Archibald Henry Hübner, Ernst Wilhelm Emil Leiden Schuchardt, Hugo (1913)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (338-182). Graz, 31. 01. 1914. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6016, abgerufen am 24. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6016.


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G. 31. 1. '14.

Lieber Freund!

Es freut mich daß Sie mit Uhlenbeck zusammen gewesen sind, und hoffentlich haben Sie ihn recht frisch gefunden.

Daß Saroïhandy an jacet für chasse (jeu de paume) gedacht hat, nimmt mich in jeder Hinsicht wunder. Chasse gehört zu chasser. Hierüber wollte ich Ihnen schon längst schreiben, habe aber jetzt keine Zeit dazu und Sie wohl auch keinen Sinn dafür. Der schriftliche Nachlaß des Ethnographen K. Rhamm und damit auch die gesammelten Auskünfte über das Ballspiel verschiedener Länder wurde auf ärztliche – aber wie es scheint unnötige – Veranlassung ver|2|brannt (es wurde Tuberkulose bei ihm angenommen).

Zugleich mit Ihrem Brief traf einer von A. Léon ein. Er legte mir eine Reihe von Fragen vor auf die ich – besonders da ich von andern Dingen zu sehr in Anspruch genommen bin – in einer ihn schwerlich befriedigenden Weise geantwortet habe. Er hat von meinen baskisch-hamitischen Vergleichungen Kenntnis genommen und schweift nun ohne Weiteres zu den arischen Sprachen ab, die ihm natürlich näher liegen als die hamitischen. Aber was soll ich ihm denn sagen wenn er fragt ob izeki mit uzere, unai mit d. Kuh (ein Geschoß aus dem Köcher Ihres Freundes Broussain), beltz mit ### usw. zusammenhänge? Entweder schüttle ich den Kopf oder ich sage: ich habe die Sache nicht untersucht. Und in der Tat |3| halte ich bei meiner Untersuchung der verwandtschaftlichen Beziehungen des Baskischen das Arische geflissentlich fern, um nicht mich und Andere zu verwirren – daß, sei es auf dem hamitisch-semitischen Wege, sei es auf einem nördlichen das Arische und das Baskische irgendwie zusammenhängen können, habe ich nie geleugnet. Ich meine nur, wir sollten uns vorderhand an die Prüfung des Nächstliegenden halten.

Dabei fällt mir ein: wann wird denn H. Winklers Vortrag in der RB. erscheinen? Meine zarten Beziehungen zu ihm werden nun wohl abgebrochen sein. Ich habe ihn neulich brüskiert, aber nicht in meinem Interesse und auch nicht in Sachen des Baskischen. Er schickte mir eine Abhandlung zu in der über kaukasische Zahlwörter und Personalpronomina gehandelt ist. Ich machte ihn höflichst darauf aufmerksam daß er dabei die tausend |4| Quartseiten die A. Trombetti über diese beiden Sachen veröffentlicht hat, nicht hätte übersehen dürfen umso weniger als gewisse Übereinstimmungen die er darlegt, schon von dem andern dargelegt worden sind.

Mein Brief an den armen Léon (der mir wirklich viel Mitgefühl einflößt) war in einigem Unmut abgefaßt. Ich hatte nämlich gerade, in der Zeit sehr bedrängt, einen andern an A. Schulten absenden müssen, der mir ein nicht allzu leserliches und übersichtliches Mskr. zur Durchsicht und zur Begutachtung des Sprachlichen hatte zugehen lassen, welches eine der größeren iberischen Inschriften zum Gegenstand hat. Von sachlichen Gesichtspunkten aus scheint man dem Verständnis der Inschrift näher zu kommen; gegen die Auffassung der Kasusformen mußte ich allerdings Einsprache erheben.

Daß Sie nun endlich dem Doktorhut zuleibe gegangen sind |5| freut mich sehr. Wenn die Sorbonne „den Tod in der Seele“ bei der Annahme Ihrer Thesen hat, so doch wohl nur deshalb weil sie das Baskische nicht im Kopf hat; da wird wohl Vinson herbeigezogen werden. Bitte sagen Sie mir aber was ist es mit der kritischen Ausgabe des Apecendaco? Ich schäme mich fast diese Frage zu stellen: Sie haben mir gewiß schon davon gesprochen.

Daß Meillet über Sprachverwandtschaft schreiben wollte, war mir auch entfallen. Zum Glück habe ich die in letzter Zeit gehegte Absicht, denselben Gegenstand neuerdings zu behandeln (mit Bezug auf die Ansichten von Meinhof und Westermann über die Gruppierung der afrikanischen Sprachen) noch nicht ausgeführt; ich werde nun jedenfalls bis zum Erscheinen von Meillets Artikel warten.

|6|Sayce scheint im Westen nicht so glücklich zu sein wie im Osten. E. Hübner urteilt in vernichtender Weise über seine Entzifferung der Inschrift von Castellón. Ob mit vollem Recht kann ich nicht sagen; ich habe die Sache nicht nachgeprüft.

Haben Sie in Leiden nichts Baskisches gefunden, ich meine außerhalb von Uhlenbecks Haus, in der großen Bibliothek?

Mit herzlichem Gruß

Ihr ergebener

H. Schuchardt

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