Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (315-174)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

28. 08. 1913

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basques Atlas linguistique de la Francelanguage Baskischlanguage Kaukasische Sprachenlanguage Spanisch Urquijo Ybarra, Julio de Winkler, Heinrich Trebitsch, Rudolf Leizarraga, Joanes Duvoisin, Jean-Pierre Rhamm, Karl Schuchardt, Hugo (1914)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (315-174). Graz, 28. 08. 1913. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5981, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5981.


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28./29.8.’13

Lieber Freund!

Ich wiederhole Ihnen nun schriftlich daß mich Ihr und Ihres liebenswürdigen Vetters Besuch nicht nur erfreut hat, sondern auch, in meinem einsiedlerischen gleichförmigen Leben, erfrischt und angeregt. Auch meine Freunde, die Familie Bauer,1 haben den allerbesten Eindruck von des „Gaskognern“ – ich korrigierte natürlich diese Bezeichnung – empfangen.

Mein Versprechen Ihnen Ratschläge bezüglich der Anlage des bask. Sprachaltas zu geben, kann ich nur in unvollkommener Weise erfüllen. Ich bin immer so erschöpft und so viele Dinge brennen mir auf die Nägel! Und vor allem ist die Sache selbst so schwierig und erheischt so mannigfache Erwägungen; je näher man ihr tritt desto verwickelter wird sie. Ich schließe die wesentlichsten Bemerkungen die ich vorderhand zu machen weiß, meinem Briefe bei. Hätte ich Zeit und Kraft, so würde ich einen eigenen Aufsatz über den Atlas für die RB liefern; vielleicht fände ich auch in meiner geplanten Einleitung zu Etcheberris Aufzeichnungen einiges Verwendbare. Jedenfalls muß die Sache gründlich überlegt und durchsprochen werden.

Die Sonderabzüge meines B. u. H. habe ich gestern erhalten ( de Urquijo doch auch die für Sie und |2| ihn bestimmten?); sie schauen sehr schmuck aus und mit ihrer Versendung in alle Welt wird wohl auch der RB ein kleiner Dienst getan sein. Die Arbeit wird ihrem Inhalt nach verschiedene Ausstellungen erfahren; ich glaube aber wenige die ich nicht schon im voraus wüßte. Es ging nicht anders; ich glaube aber daß damit jedenfalls für alle weiteren Erörterungen der Verwandtschaftsfrage eine feste Grundlage gewonnen ist. Wenn doch auch Winkler seine baskisch-kaukasischen Wortvergleichungen in einer ähnlich, nicht gar so oberflächlichen Weise vorlegen wollte! – Über die äußere Form in der ich das B. u. H. fortsetzen könnte, bin ich mir noch im Unklaren. Die Bezifferung scheint mir, aus praktischen Gründen, auch fernerhin beibehalten werden zu sollen. Wie ich Ihnen schon sagte, liegt mir vor Allem daran das S. 9 Gesagte mit Beispielen aus der Schrift zu belegen, oder gar eine Art Klassifikation der sämtlichen Vergleichungen zu geben. – Im einzelnen finde ich schon jetzt ein und das andere zu verbessern; so hätte ich N. 130 zu stehen fügen sollen bleiben, damit man mir nicht Unkenntnis der Bedeutungen des baskischen Wortes vorwerfen könne.

Wie mir eine Karte von de Urquijo vor einigen Tagen meldete, sind er und Dr. Trebitsch|3| eifrig bei der Arbeit. Sie scheint auf der spanischen Seite eine große Ausdehnung angenommen zu haben; bitte schreiben Sie mir doch gelegentlich Näheres darüber. Grüßen Sie beide Herren bestens von mir.

Ich weiß nicht ob Sie den Charakter meines Kommentars zu Luk. XV bei der raschen Einsicht in das Mskr. völlig erfaßt haben. Ich lasse mich hier hauptsächlich von pädagogischen Rücksichten leiten. Der Lernende soll zunächst nur von einem Baskisch, dem Leizarragas wissen; alle Hinweise auf die andern Mundarten werden vermieden. Die zur genetischen Erklärung nötigen Formen werden wenn nicht leizarragasch mit einem Sternchen versehen, mögen sie nun anderswo vorkommen oder nicht.

In der Nähe von les Aldudes befindet sich ein Pic d’Adarca (wenn Raymond Adarça hat, so ist das wohl ein Druckfehler); anderswo haben wir Adarré als Bergnamen. Wissen Sie irgend etwas Näheres über diese Form Adarca? wie wäre das -ka zu erklären? Ich frage weil dem bask. adar irisch adarc Horn entspricht.

Neulich nahm ich auf einem der älteren Umschläge vom franz. Sprachaltas unter den |4| Büchern in Campions Verlag die Übersetzung des A. u. N. Testamentes von Duvoisin mit 40 Fr. angesetzt wahr. Das ist wohl ein Druckfehler?

Bevor Sie über das Ballspiel irgend etwas, viel oder wenig, veröffentlichen, warten Sie doch bitte, noch eine Mitteilung von mir ab. Ich sagte Ihnen schon, ich möchten gern den Namen K. Rhamms bei dieser Gelegenheit erwähnt sehen.

Entschuldigen Sie mich noch bei Ihrem Vetter; ich habe ihm, in Folge eines Irrtums, Aussicht auf Magyaren und Slawen in Mariatrost gemacht. Neulich war der große Frauentag (für die Grazer usw.); in der nächsten Woche ist der kleine Frauentag – zu diesem findet die Wallfahrt aus dem Süden, von weither, statt; die frommen Pilger beiderlei Geschlechtes schlafen dann nachts in der Kirche – hoffentlich bringen Sie nicht Blattern und Cholera mit.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

H. Schuchardt

|5|2 Der Plan zum Sprachatlas kann sich nur in beschränktem Grade nach dem französischen Plan richten. Das baskische Gebiet erfordert wegen seiner außerordentlichen Differenziertheit ein weit dichteres Netz als das französische. Man darf nun aber nach der andern Seite nicht zu weit gehen. Die Notice S. 8: [« ]Qu’on ne prenne pour base d’un parler d’une commune l’ensemble des habitants (et en fixe une moyenne) ou qu’on n’en prélève qu’un échantillon, en ne consultant qu’un de ses représentans [sic]. » Im Grunde handelt es sich hier nicht um zweierlei, sondern um ein und dasselbe. Ich muß von den sämtlichen Individualsprachen (den Sprachen der an einem Orte geborenen und lebenden Individuen) eine gewisse Kenntnis oder Vorstellung haben, um einen Durchschnitt gewinnen zu können, und ohne einen solchen vermag ich wiederum kein typisches Individuum auszuwählen das mir zu eingehender Beobachtung diene. Es wird daher geraten sein von ganz minimalen sprachlichen Abständen völlig abzusehen; es könnte sonst leicht geschehen daß zwischen den extremsten Sprechweisen bei den Eingeborenen eines Ortes der Unterschied grösser wäre als der zwischen den durchschnittlichen Sprechweisen dieses und eines |6| benachbarten Ortes. Alle Gleichheit und Ungleichheit in sprachlichen Dingen beruht ja auf dem größeren und geringeren Verkehr und selbst an einem kleinen Ort ist er nicht zwischen allen Personen ein gleich lebendiger; überall finden sich solche die nach außen gravitieren. Dazu kommen nun noch Unterschiede, welche von der Ungleichheit des Alters herrühren (zunächst allerdings auch sie von der des Verkehrs). Es ist recht gut sich an die ältesten Personen, und wiederum besonders an die Frauen zu halten, wie das der Prinz Bonaparte tat; aber wenn das nicht überall geht, so wird eigentlich das mundartliche Bild gefälscht: man stellt für den einen Ort eine ältere (bzw. jüngere) Sprechweise fest als für den andern. Allzuviel Skrupel darf man sich nun nicht machen; minima non curat praetor3. Immerhin würde es sich empfehlen gewisse Boh[r]versuche, Stichproben oder wie man es nennen mag, zu veranstalten. 1)4 Zunächst zu untersuchen wie groß wohl an einem Orte von 4000, von 3000, von 2000 usw. Eingeborenen, unter diesen das Maximum sprachlicher Differenz wäre. Das könnte an je zwei Personen vorgenommen werden; doch müßten diese Personen von solchen die ebenfalls an dem betreffenden Orte ganz einheimisch wären, ausgewählt werden*). – 2) Zweitens gälte es dem Minimum sprachlicher Differenz |7| zwischen zwei unmittelbar benachbarten Orten nachzuforschen. Also wie verhalten sich Ciboure und S t-Jean-de-Luz zueinander? Und dann z.B. Sare und Ainhoa, ferner Ortschaften die in der Luftlinie nicht weit voneinander entfernt, aber durch irgend welche natürlichen Hemmnisse (Berge, Gewässer) getrennt sind, und wiederum solche von denen wir schon aus des Prinzen Bonaparte Karte ersehen daß zwischen ihnen die Sprache eine stärkere Abänderung erfährt (Grenzen der Mundarten und Untermundarten). Diese Vorarbeiten brauchten nur in beschränktem Maße vorgenommen zu werden, nur um dem weiteren Verfahren den Weg zu weisen; ihre Ergebnisse würden aber auf jeden Fall in die übrigen Ermittelungen einzureihen sein. – Ich bemerke noch, daß die zu Anfang erwähnte Dichtigkeit auch auf baskischem Gebiete eine sehr verschiedenartige zu sein scheint. Z.B. ist die Sprache zwischen Ainhoa und Mauléon nicht differenzierter als die zwischen Lejona (Bilbao) und Vergara? sind demnach dort nicht zahlreichere Aufnahmen nötig als hier?

Was den Stoff der Ausfragungen anlangt, so müßte er vor allem aus den alltäglichsten Wörtern bestehen; man könnte sich nach den Guides de conversation richten. Während aber beim französischen Atlas das Lautliche im Vordergrund steht, müßte hier das Lexikalische diese Rolle ausfüllen, das heißt die Hauptsache wären die verschiedenen Ausdrücke (die ganz, nämlich wurzelhaft verschiednen wie nesken egun: larum bat oder die nur |8| in der Endung verschiedenen) für die gleiche Sache festzustellen. (Eine nützliche Vorarbeit wäre auch die ein Verzeichnis derjenigen Wörter anzufertigen, von denen man im Voraus weiß (oder doch annimmt) daß sie, von Varianten der Aussprache abgesehen, durch das ganze bask. Gebiet dieselbe Rolle spielen, wie izar, gizon). Dann wiederum gibt es Wörter die sich durch Vermischung mit andern in den verschiedenartigsten Formen darstellen wie z.B. das für den arbousier. Sie würden also – vielleicht kommen gerade sie nicht im alltäglichen Verkehr vor – eine besondere Berücksichtigung zu erfahren haben.

Von den Formen des Hülfsverbs (sein, haben) müßten ein[ig]e wenige ausgewählt werden; solche in denen sich hauptsächlich die Verschiedenheit der Mundarten offenbarte. Das ist ein sehr schwieriger Punkt, über den ich vielleicht mich einmal ausführlicher äußere.

Für heute lassen Sie sichs an diesen hingeworfenen Gedanken genug sein, die ich nicht einmal in eine mich selbst befriedigende Form bringen konnte. Mir fehlt die unmittelbare Fühlung mit dem Baskenland; ich kann mir z.B. keine rechte Vorstellung davon machen wie sich die Verständlichkeit durch das ganze Gebiet vermindert, bzw. erhält. Es wäre daher am besten, Sie legten mir Alternativfragen vor, mit Ja, Nein oder doch in allgemeiner Weise zu beantworten, nicht solche, wo ich Beispiele aus dem Bask. vorführen müßte.

Sehr erwünscht wäre als Beigabe ein historischer Atlas oder die Skizze eines solchen (für einen solchen dürften sich die Hilfskräfte dies- und jenseits der Pyrenäen nicht schwer finden lassen) mit den Grenzen der weltlichen und geistigen Gebiete, den Mittelpunkten der Rechtspflege, des Verkehrs, den Zielpunkten der Wallfahrten!

*) z.B. zu Hasparren von Dr Broussain


1 Der Althistoriker Adolf Bauer (1855-1919) mit Familie.

2 Die Anlage wird im Nachlass fälschlicherweise unter Brief 88 geführt.

3 [Um Kleinigkeiten kümmert sich der Prätor nicht]

4 1) und ein paar Zeilen weiter 2) wurden mit blauem Farbstift eingefügt. Möglicherweise auch von Lacombe.

Von diesem Korrespondenzstück ist derzeit keine digitale Reproduktion verfügbar.