Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (132-04111)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Rauschen

04. 09. 1906

language Deutsch

Schlagwörter: Max Niemeyer Verlag Salvioni, Carlo Pieri, Silvio Ascoli, Graziadio Isaia Wolf, Michaela (1993) Stalzer, Josef (1906) Schuchardt, Hugo (1906) Salvioni, Carlo (1906) Schuchardt, Hugo (1905) Schuchardt, Hugo (1906) Salvioni, Carlo (1905) Schuchardt, Hugo (1900)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (132-04111). Rauschen, 04. 09. 1906. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5949, abgerufen am 20. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5949.


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Rauschen b/ Königsberg/OPr.
4.9. 19061.

Lieber Freund.

Folgendes bin ich in der Lage auf Ihre Anregungen und Bemerkungen im Brief v. 2. d. M. zu erwidern.

1) Das Aussehn der Typen in der Zeitschr. wechselt nach ihrem Alter und ihrer Behandlung durch den einzelnen Setzer. Aus einem Setzkasten läßt sich 1-1½ Druckbogen setzen, mehrere Setzer und Setzkästen sind nöthig um ein Zeitschriftheft von c. 5 Bogen aus Borgisschrift und 3 Bogen aus Petit zu setzen, die Setzkästen des einzelnen Setzers enthalten verschieden alte Schrift und je nach der Sorgfalt des Setzers mehr oder weniger verdorbene (gestrichene) Buchstaben. Auch die Mischung und Reinhaltung der Letternart hängt von dem einzelnen Setzer ab. Er kann beim Absetzen einer Satzcolumne die verdorbenen Buchstaben gleich aussondern und Buchstaben aus anderen Schriftarten, am Schriftkegel,2 sofort als in einen bestimmten Schriftkasten gehörig erkennen, – wenn er aufmerksam ist. Die Mischung der Lettern in den Correcturabzügen erklärt sich immer aus dem Mangel an Aufmerksamkeit bei den einzelnen Setzern, denn das Setzen und Ablegen3 aus verschiedenen Schriftarten sich zusammensetzenden Zeitschriftbeitrages überlassen ist. Zeitschriftenbeiträge von der Art |2| desjenigen über die Reichenauer Glossen,4 bei dem eine Unmenge i ihren Punkt verlieren mußten, sind ein Verhängnis für die Correctheit und Sauberkeit der Correcturabzüge nachfolgender Artikel. Da der Setzer in der Stunde eine bestimmte Anzahl n (wonach eine Columne berechnet wird) setzen oder ablegen muß, wenn er auf seine Lohnhöhe per Woche kommen will, so fühlt er sich zu einer gewissen Flüssigkeit in seiner Arbeit genöthigt. Es hilft daher nur unerbittliche Kennzeichung der Mängel des Satzes bei der Correctur von Seiten der Verfasser!

2. Wegen Ihres Baskischen Artikels in der Rom Ztsch.5 würde ich empfehlen, sich an Niemeyer zu wenden. Da er nicht auch in Buchform von N. verbreitet wird, kann ihn die Veröffentlichung einer Übersetzung ebenfalls in einer Zeitschrift kaum Abbruch thun, u. soviel ich weiß, gibt N. keine Zeitschrifthefteeinzeln ab.

3. Salvionis negozza-Artikel6 machte mir beim Lesen des Ms. einen gewissenhaften Eindruck; ich konnte Ihnen aber davon keine Mittheilung machen, da ich Anf. Juni, wo der Artikel mir zuging und in die Druckerei befördert werden mußte, nicht über Ihre Adresse unterrichtet war. Überdies glaubte ich Sie und S. in bestem Einvernehmen und gewisse Stellen des Artikels nicht so auffassen zu dürfen, wie sie mir beim ersten Lesen zu lauten schienen. – Zudem war mir nicht zweifelhaft, daß, wenn S. eine Zurechtweisung provocierte, er sie von Ihnen erhalten würde – zur Ge- |3| nugtuung manches ital. Collegen (zb. Pieri)7 mit dem S. nach Ascolis Rücktritt glaubte in autoritärem Ton verhandeln zu dürfen. Sie haben nun mit einer Schärfe (in der Entgegnung gegen S.)8 das Verhältnis des semantischen zum lautgeschichtlichen Element beim Etymologisieren hervorgehoben und den historischen Character des ersten nebst dem psychologischen und logischen so betont, daß ich glaube, daß wohl niemand mehr im Zweifel darüber sein wird, was Sie meinten, als Sie sich vor Jahren und weiterhin gegen das „Lautgesetz“ erhoben. Ich bin nur auch der Meinung, daß Ihre Entgegnung niemand würde übersehen haben, wenn sie nicht gleichzeitig mit S.‘s Artikel erscheint, was diesmal zufälliger Weise geschehen kann. Ich bin mithin gegen eine Veranstaltung in der Ztschr., die das Tempo der Veröffentlichung Ihrer Beiträge zu beschleunigen bezweckte. Ob Sie früher oder später sich äußern, – Sie verlieren nichts, da Sie von jedermann, der in Erwägung bei einer wissenschaftlichen Discussion kommt, gelesen werden; das in der Ztschr. angegebene Datum der Einsendung Ihrer Artikel schützt Sie in jedem Fall auch in Prioritätsfragen; ein sofortiges Repliciren, – denken Sie, daß es von jedem Mitarbeiter der Zeitschr. in Anspruch genommen werden dürfte, würde dem Organ der deutschen Romanisten einen sonderbaren Charakter aufdrücken – dagegen würde ich mich freuen „Füllungsmaterial“ von Ihnen jederzeit zur Verfügung zu haben. Ich bitte mir zu senden, was sich zu dieser Form der Mitteilung eignet.

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Den Nachtrag zu negozza kann ich Ihrem Ms. noch beifügen, wenn Sie mit der angegebenen Art der Veröffentlichung Ihrer Entgegnung gegen S. einverstanden sind.

Vom 10. Sept. an bitte ich, sich wieder meiner Straßburger Adresse zu bedienen.

Mit herzlichem Gruß

Ihr

GGröber.


1 Wolf, Nachlaß, hat das Datum verlesen und gibt fälschlich 1900 an; es handelt sich aber um das Jahr 1906!

2 Typographischer Terminus aus der Periode des materiellen Schriftsatzes (Bleisatz) für den physischen Körper eines Bleibuchstabens (Kegelgröße).

3 Diese Tätigkeit bezeichnet das Rück-(Ab)legen des Bleisatzes nach dem Druck. Beim Handsatz wurden die Lettern in den Setzkasten zurückgelegt. Beim Maschinensatz wurde der gegossene Satz wieder eingeschmolzen.

4 Josef Stalzer, „Neue Lesungen zu den Reichenauer Glossen“, ZrP XXX, 1906, 49f.

5 Schuchardt, „Baskisch und Romanisch. Zu de Azkues Bask. Wtb. I,“ 6. Beiheft zur Zeitschrift für rom. Philologie, 1-62. Offenbar plante Schuchardt eine Übers. Dieses Beitrags.

6 Diese Geschichte ist etwas kompliziert; in ZrP XXX, 1906, findet sich Salvionis Beitrag „Zur Wortgeschichte“, darin S. 81f. „2. negóssa ; argüç ; ligúrsa“, wo er Schucharts Deutung von negossa in Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia, Graz 1905, 31ff., widerspricht; darauf replizierte Schuchardt mit „Zur Wortgeschichte. Derla. Negossa (zu Zeitschrift XXX, 79, 81ff.)“, ZrP XXX, 1906, 207-210; darauf erfolgte wiederum eine Antwort Salvionis, „Discussioni etimologiche 2. Negoça; argüç“, ebd., 532-537 (als Eingang des Artikels bei der Red. ist der 13.6.1906 vermerkt).

7 Silvio Pieri (1856-1936), ital. Sprachwissenschaftler in Catania und Neapel.

8 Schuchardt, „Ven. anguela“, ZrP XXIV, 1900, 413-415.

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