Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (112-04112)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Príncipe

11. 09. 1900

language Deutsch

Schlagwörter: Karras-Verlag Romania (Zeitschrift) Zeitschrift für romanische Philologie Universität Prag Bibliothèque Nationale de France Universität Heidelberg Thomas, Antoine Paris, Gaston Meyer, Paul Mohl, Frédéric George Trübner, Karl Ignaz Herkulesbad Straßburg Schuchardt, Hugo (1900) Mohl, Friedrich Georg (1899) Roques, Mario (1900) Mohl, Friedrich Georg (1900) Mohl, Friedrich Georg (1900) Thomas, Antoine (1900) [o. A.] (1889)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (112-04112). Príncipe, 11. 09. 1900. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5929, abgerufen am 27. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5929.


|1|

Schönwald / Escheck b/ Triberg, d. 11.9.1900

Lieber Freund.

Meine Karte vom Sonntag ist mit Zusage der Aufnahme Ihres Artikels gegen Thomas1 Ihrer Sendung vorausgeeilt. Heute habe ich das Ms. an Karras geschickt mit der Weisung, es sogleich setzen zu lassen und Ihnen die Korrektur nach Herkulesbad,2 spätestens am 18. Sept., zu schicken. Falls er das nicht möglich machen kann – seit 14 Tagen hat er mir keinen Bogen Correctur vom 4./XXIV Heft zugehen lassen – soll er Ihnen umgehend nach Herkulesbad mittheilen, bis wann Sie die Correctur erhalten können, damit Sie in der Lage sind, ihm Ihre spätre Adresse anzugeben.

Gegen den Inhalt Ihrer „Kritik“ habe ich nichts einzuwenden; ich habe höchstens das Gefühl, daß Sie sich etwas herabgelassen haben, indem Sie sich über Thomas‘ Äußerungen ungehalten zeigen. Die „Phonetik“, die er im Sinne hat, ist die Summe des bisher phonetisch Erkannten; Sie suchen diese Summe zu mehren, indem Sie neue Wege einschlagen. Das versteht T. offenbar nicht. Daß Sie es mit der Phonetik leicht nähmen, ist daher ein thörichter Vorwurf, der Ihnen allerdings nicht gemacht werden sollte, da Sie sie mit gebaut haben. Ich habe vor einigen Tagen, wo ich in Straßburg war, das Romaniaheft mit Thomas‘ Rezension gefunden, aber es schien mir darin nicht eigentlich was zu |2| stehn, was sich widerlegen ließ.

Die Motive, die Sie auf Paris‘ u. Thomas‘ Seite bez. der Veröffentlichung der Kritik voraussetzen, scheinen mir zutreffend; ich kann mich nur wundern, daß GParis nicht aufrichtiger gegen Sie ist, und klug sich von Thomas decken läßt, statt ehrlich zu debattieren. Nun, er wird ja nicht umhin können, wenn er Ihre „Kritik“ gelesen hat, Farbe zu bekennen.

Ein Misverständnis ist untergelaufen, wenn Sie aus meinen früheren Zeilen entnommen haben, daß in der RZts XXIV, 4 das jüngste Romaniaheft schon besprochen werden würde. Ich hatte, meine ich, nur erklärt, daß wir die Besprechung dieses Romaniaheftes schon in Zts XXIV,4 bringen könnten, wenn Sie als Mitrecensent an diesem Romaniaheft sich betheiligen wollten. Es wäre jedenfalls nicht leicht gewesen, für mich, in der kurzen Zeit die Recensionen des letzten und vorletzten Romaniaheftes, die auf mich fallen, fertig zu machen, da ich erst am 13. oder 14. Sept. nach Haus komme. Aber mir ist die von Ihnen gewählte Form der Verwahrung gegen Thomas ganz recht; ob das bei G. Paris u. Thomas auch der Fall sein wird, weiß ich nicht; nun, wir werden ja sehen! Höflichst und verbindlich ist die Romania (cfr. P. Meyer)3 ja nicht immer. Falls Sie mehr als 10 Abzüge von der „Kritik einer Kritik“ haben wollten, bitte |3| ich das Karras auf dem Correcturabzug zu bemerken. Es ist selbstverständlich, daß nur für die Mehrabzüge von Ihnen Vergütung verlangt werden kann.

Mohls Art ist mir durch Ihre Mittheilungen noch klarer geworden.4 Er ist ein Spekulant, aber doch ein dummer Spekulant, wenn er an Ihnen vorüber kommen zu können glaubt. Und hätte, da er auf Ihrem Grund weiter bauen will, es sich nicht geziemt, sich Ihnen gerade in erster Linie vorzustellen, statt es darauf anzulegen von M – a5 eine Empfehlungskarte zu erhalten?

In die Lage der Dinge bei Ihrem baskischen Neudruck habe ich keinen Einblick.6 Aber Ihre Vermuthung bez. Trübner trifft nicht zu. Er gilt als sehr vermögender Mann, rechnet aber vielleicht vorsichtiger als früher, nachdem ein Leben voller Erfahrungen hinter ihm liegt, und er sich seine Grundsätze gemacht hat. Darunter befindet sich, nach meinem Wissen, jedenfalls, das nicht zu verlegen, wofür er den Markt nicht kennt und nicht Opfer zu bringen für die Nächstinteressierten. Daß er Opfer auf sich zu nehmen vermag, hat er bei dem Erwerb der Minnesängerhs. für Heidelberg7 u. beim Verkauf  der Hamiltonhss. aus dem Nachlaß Kaiser Friedrichs gezeigt, wo er ein Erträgnis von über eine Million garantieren mußte, ehe er noch einen Pfennig aus dem Verkauf zu lösen sicher war.8 Darf ich bez. Ihres baskischen Werkes eine Vermuthung aussprechen, so wird Tr. auf nur geringen Absatz rechnen. Er wird an dem Verk. nichts verdienen, was bei manchem seiner Verlagsartikel ge- |4| schieht, aber auch nichts verlieren wollen. Vielleicht schlägt er die Nachfrage zu gering an. Aber wesentlich wird es sich um ein Buch für gelehrte Bibliotheken u. die wenigen Baskologen, die Bücher kaufen, handeln. Zu den 500 Mk, die er zu zahlen bereit ist, muß er Transport, Versendungs- u. Commissionskosten und Kapitalzinsen schlagen. Nehmen wir an, daß mit einem bescheidenen Gewinn, die Gesamtsumme, die er in Rechnung zu stellen hat, 1000 Mk beträgt, und daß das Ex. 20 Mk netto kostet, so müssen schon 50 Ex. Ihres Werks abgesetzt werden, wenn jene Summe herauskommen soll. Aber wie gesagt, daß kann ein unrichtiger Calcul sein, über den er sich wohl aufklären lassen wird. Vielleicht kommt er Ihnen darin entgegen, daß er nachträglich Ihnen nachzahlt, was er mehr hätte zahlen können, wenn der Absatz sich als größer erweist, als er erwartete. – Ich bitte nach Empfang dieser Zeilen meine Straßburger Adresse zu benutzen.

Mit herzlichem Gruß

Ihr

GGröber.


1 Schuchardt, „Die Kritik einer ,Kritik‘“ (zu Rom. XXIX, 438-440)“, ZrP XXIV, 1900, 592-595.

2 Băile Herculane im Banat, das älteste Kurbad Rumäniens. Schuchardt hat dort 1895, 1896, 1899 und 1900 gekurt.

3 Paul Meyer, Schüler und Vertrauter von Gaston Paris, war ein ausgeprägter Kritiker Gröbers und hatte keine hohe Meinung von der Bedeutung der ZrP. So schrieb er an Hermann Suchier im März 1896: „A tout prendre il vous reste la Zeitschrift de Gröber. Le pauvre diable n’a pas toujours son garde manger bien garni, et il s’estime heureux d’hériter de ce dont l’Archiv. glott. ou la Romania ne veulent pas“ (Original SBB PK, NL Suchier).

4 Friedrich Georg (Frédéric George) Mohl / Bedřich Jiří Mohl (1866-1904) war zunächst Lektor, ab 1899 Romanistikprofessor in Prag und Élève diplômé der EHE in Paris; dem Diplom lag seine Introduction à la chronologie du latin vulgaire. Étude de philologie historique, Paris 1899, die Michel Bréal gewidmet ist, zu Grunde. Mohls Buch wurde positiv von Mario Roques in Romania 29, 1900, 266-287 besprochen. Mohl antwortete darauf (ebd., 453-459), dass er sich zwar über die Rez. freue, sich jedoch ein tieferes Eingehen auf seine Theorien gewünscht habe. In der gleichen Nummer (S. 433-437) wird auch sein Buch Les origines romanes. Études sur le lexique du latin vulgaire, Prag 1900, von A. Thomas positiv gewürdigt. Mohl zit. Schuchardt zwar des Öfteren, doch sind seine Urteile zwiespältig, z.B. S. 20: „Schuchardt, Vokal., I, 92 a donc commis une grande confusion de termes dont son ouvrage entier se ressent“ usw. In Deutschland wurde Mohl z.B. von Max Manitius kritisiert: „Verf. sucht dann eine sichere Begründung für das Vulgärlatein zu gewinnen, da aber das hierzu verwendete romanische Sprachmaterial vielfach ungenau ist und sich große Unregelmässigkeiten in der Behandlung desselben zeigen, so steht jene Begründung keineswegs fest“ ( KrJb 6, 1899-1901, I, 135 ).

5 Adolfo Mussafia.

6 Vermutlich geht es um die Schriften Leiçarragas.

7 Es handelt sich um die berühmte manessische Handschrift: „Somit befand sich die Liederhandschrift seit 1657 im Besitz der Königlichen Bibliothek in Paris (der heutigen Bibliothèque nationale de France), wo sie 1815 Jacob Grimm entdeckte. Seit diesem Fund gab es vielfältige Bemühungen, die Handschrift wieder nach Deutschland zurückzuholen. Aufgrund eingetretener Verjährung des Eigentumsanspruchs der Bibliotheca Palatina war dies nur durch einen Kauf oder Tausch möglich. Letzteren bewerkstelligte 1888 der Straßburger Buchhändler Karl Ignaz Trübner, so dass die berühmteste deutsche Handschrift unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nach Heidelberg zurückkehren konnte, wo sie bis heute verwahrt wird. Der Erwerb von der Pariser Bibliothek unter ihrem Direktor Léopold Delisle erfolgte im Tausch gegen eine größere Zahl französischer Handschriften, die in den 1840er Jahren aus französischen Bibliotheken entwendet worden waren und die Trübner von Lord Bertram Ashburnham, 5. Earl of Ashburnham (1840–1913), kaufte, der die teilweise unrechtmäßig erworbene Handschriftensammlung seines Vaters veräußern wollte. Den Codex Manesse erhielt zunächst die Berliner Reichsregierung, die die Handschrift dann wieder der Universitätsbibliothek Heidelberg zuwies. Zur Abwicklung des Erwerbs hatte ein kaiserlicher Dispositionsfonds Trübner die erhebliche Summe von 400.000 Goldmark (zirka 7 Mio. Euro) zur Verfügung gestellt“ (Codex Manesse, Wikipedia).

8 Catalogue of ninety-one manuscripts on vellum [Texte imprimé]: illuminated by english (anglo-saxon), byzantine, french, flemish, dutch-german, italian and spanish artists of the VII-th to the XVII-th century, chiefly from the famous Hamilton collection ... to be sold ... on the 23rd of May, 1889... / [Karl J. Trübner] / S.l. [London: Sotheby, Wilkinson and Hodge], [1889].

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04112)