Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (093-04092)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Straßburg

23. 03. 1898

language Deutsch

Schlagwörter: Kritiklanguage Französisch (Gabun)language Katalanisch Schuchardt, Hugo (1897)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (093-04092). Straßburg, 23. 03. 1898. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5910, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5910.


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[Poststempel: STRASSBURG (ELS.) 28-3-98]1

Lieber Freund.

Durch meinen Umzug (nach Universitätsplätz 8) wurde meine Korrespondenz unterbrochen;2 erst in den letzten Tagen konnte ich Ihre idus-Abhandlung lesen3 und heute erst kann ich Ihnen für die Zusendung danken. Besonders wichtig ist mir die Betonung des Satzes erschienen, daß die Lautgeschichte mit der Wortgeschichte Hand in Hand zu gehen habe; bewunderungswürdig haben Sie den Beweis für den Austausch zwischen –idus und –ius geführt, und man weiß nicht, ob man die Gelehrsamkeit oder den Scharfblick des Verfassers mehr bewundern soll. Der bewegten Fragen u. besprochenen Wörter sind soviele, daß man Ihnen für einen Wortindex am Ende noch besonders dankbar gewesen sein würde. Nicht überzeugt bin ich von dem mundartllichen Character von sage u. saive, von der Thatsächlichkeit der Bedeutungen u. Bedeutungsentwicklung bei musteusmustidus, bei der der Weinbauer einen sprachlichen Einfluß gehabt hätte, dem man sonst nicht begegnet; von der Darlegung über die Trennung der Bedeutungen bei sapidussapius (frz. sade, sage); von dem Erbwortcharakter span. Wörter wie sabio u. dgl. Gegenüber sp. sepaquepa (sapiam, capiam) befremdet rabia (rabier), giebt doch fovea : hoya; und wenn man sapidus zur Grunde legen wollte, entstünde Collision zwischen span. rubio, das wohl rubidus sein konnte, während port. ruivo : rubeus verlangt. Demnach wird mir auch span. gibia / sepia; ich sprach davon in den Substraten nur wegen des gegenüber der Schreibung saepia) verdächtig (cat. u. südfrz. gelehrte Form dafür): denn, wenn der Tintenfisch auch in den Meeren, die die romanischen Küsten bespülen, zu Hause ist, so kann er doch den Romanen fremd geblieben sein, die aus seinem Fang nicht ein Gewerbe machen (Catalanen, Südfrzos.; Spanien?). Doch ich breche ab; die Sache will noch genauer überdacht sein. Ich erlaube mir nur noch hervorzuheben, daß, wenn ich das fz. saive, it. savio etc. herleite, statt wie Sie aus nordital. Form, dies nicht unbedacht geschah, sondern im Hinblick auf die Bedeutung, die Frankreich für die andern rom. Länder in sprachlicher wie in cultureller Bedeutung gehabt hat: es ist mir begreiflicher, daß dort ein Begriff wie er bei saivo : it. savio besteht, geprägt wurde, als daß eine nordital. Wortform in gebildeten Mundarten erzwungen hätte.

Mit herzlichem Gruß

Ihr

GGröber
28.3.98.


1 Die Karte wurde nach Graz geschickt und von dort nach Gotha, Siebleberstrasse 33, nachgesandt.

2 Nach nur drei Jahren zog Gröber erneut um, ohne dass wir den Grund kennen; vgl. Lfd.Nr. 086-04085.

3 Schuchardt, „Romanische Etymologieen I“, SB. d. Akad. d. Wiss. Wien, phil.-hist. Cl. 1898, Bd. 149.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04092)