Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (060-04058)
von Gustav Gröber
an Hugo Schuchardt
02. 04. 1886
Deutsch
Schlagwörter: Werkebestellung/Werkebeschaffung Buchhandel Anzeige Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik Philosophischen Studien Nordostkaukasische Sprachen (nacho-dagestanische Sprachen) Schuchardt, Hugo (1884) Gröber, Gustav (1884) Gröber, Gustav (1886) Wundt, Wilhelm (1886)
Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (060-04058). Ruprechtsau, 02. 04. 1886. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5901, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5901.
Lieber Freund.
Ich finde es begreiflich, daß ein Buchhändler für Commissionsverlagsartikel ein geringeres Interesse zeigt, als für seine Verlagsartikel. Offenbar ist in Folge von Unterlassung von Anzeigen Ihr „Slavodeutsches“1 viel zu wenig bekanntgeworden. Uebrigens habe ich auch die Anschaffung des Buches auf der Universitätsbibliothek verlangt und erlangt.
– Die Forts. der „Substrate“ sandte ich Ihnen nicht, weil der Artikel zu klein war.2 Wölfflin hatte nicht mehr Platz in III 1, Ms. war noch einmal soviel in seinen Händen.3 Heft III, 2 bringt ein weitres Stück; mit diesem werde ich Ihnen das in III 1 veröffentlichte senden. – Für Ihre Bemerkungen zu den an letztrer Stelle behandelten Wörtern danke ich herzlich, – gerade wegen der Aufrichtigkeit Ihrer Kritik; ich wünsche mehr belehrt als geschont zu sein. Bez. des Erschließens der „Vocalquantität aus romanischer Vocalqualität“ verstehen wir uns wohl nicht ganz. Ich denke gar nicht diese Frage in den Substraten zu entscheiden. Wenn ich hŏstis u.s.w. ansetze, so bezeichnet das nur, daß die rom. Sprachen in diesem Worte den im lat. bŏnus metrisch kurz gebrauchten Laut voraussetzen. Um nicht mißverstanden zu werden, setzte ich in den ersten Heften des Archivs in solchem Falle ǫ (zB. A[r]ch I 251 bǫcabǫza u.s.w.).4 Bei i und u wählte ich dagegen ĭ und ŭ, wo andre įų setzen, weil mir diese Zeichen nicht mehr zu sagen schienen als jene. Später habe ich, der Einheitlichkeit wegen, dann auch ĕ für ę, ŏ für ǫ gebraucht. In īlex ist ī auch metrisch hinreichend bezeugt; da ich nun aber drauf ausgehe die Differenzen zwischen dem Schriftlatein u. dem Ausgangspunkt der rom. Sprachen vor Augen zu stellen, muß ich doch das uns [h]omonom [?]5 von den rom. Sprachen abgewichene īlex als litterarische Form characterisieren u. das rom. Substrat ĭlex oder ilex aufstellen. Bei der Erklärung des f[r]zös. ore liegt der Schwerpunkt in der Ablehnung der bisherigen Etyma, die alle unhaltbar sind; daß meine Erklärung in der Luft schwebt, weis ich wohl; ich hege aber die Hoffnung hodie u. hora noch in der „Formel“ zu finden, durch die die lautliche Einwirkung von hodie wahrscheinlich wird. Mundartliches ital.ǫra bedarf neben sonstigem adv. ora doch ebenfalls besondrer Aufklärung u. würde sie durch ǫggi ebenfalls erhalten. „Ihr ausnahmslos habe ich noch nicht ganz verwunden.“ Ich denke auf diesen Vorwurf im letzten Briefe geantwortet zu haben. Ich weis nicht, wo ich mich von dem alten Satze: dans le langage rien n’est nécessaire, mais tout y est motivé entfernt haben könnte. – Wundts Stud. III6 werde ich mir ansehen, auf Ihre Antwort an Henry7 bin ich gespannt.
Mit den besten Grüßen Ihr
GGr.
1 Schuchardt, Dem Herrn Franz von Miklosich zum 20. November 1883. Slawo-deutsches und Slawo-italienisches, Graz 1884.
3 Eduard Wölfflin war Hrsg. des Archiv[s] für lateinische Lexikographie. Er zeichnete seine eigenen Beiträge nicht mit Namen, sondern mit „Vom Herausgeber“. In Bd. III, 1886, beginnt er mit einer Reihe lexikalischer Artikel für den Thesaurus Linguae Latinae, S. 101f. „Abdico – Adhibeo“ usw.
4 Gröber, „Vulgärlateinische Substrate romanischer Wörter“, Archiv f: lat. Lex. 1, 1884, 204f., 539f.
5 Lesart unsicher! S. dazu Gröber, Archiv f. lat. Lex. 3, 1886, 143.
6 Wilhelm Wundt war Hrsg. der Zeitschrift Philosophische Studien: Bd. III erschien 1886; darin S. 195-215 sein Aufsatz „Ueber den Begriff des Gesetzes, mit Rücksicht auf die Frage der Ausnahmslosigkeit der Sprachgesetze“.