Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (051-04049) Gustav Gröber Frank-Rutger Hausmann Institut für Sprachwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2022 Graz o:hsa.letter.5892 051-04049 Hugo Schuchardt Archiv Herausgeber Bernhard Hurch Karl-Franzens-Universität Graz Österreich Steiermark Graz Karl-Franzens-Universität Graz Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen 04049 Gustav Gröber Papier Brief 3 Seiten Unbekannt 1886-01-10 Hugo Schuchardts wissenschaftlicher Nachlass (Bibliothek, Werkmanuskripte und wissenschaftliche Korrespondenz) kam nach seinem Tod 1927 laut Verfügung in seinem Testament als Geschenk an die UB Graz. Frank-Rutger Hausmann 2017 Die Korrespondenz zwischen Gustav Gröber und Hugo Schuchardt Hugo Schuchardt Archiv Bernhard Hurch

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Hugo Schuchardt Archiv

Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.

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Gustav Gröber Unbekannt 1886-01-10 Hugo Schuchardt Korrespondenz Gustav Gröber - Hugo Schuchardt Korrespondenz Reflexion über Philologiebegriff Sprachwissenschaft (Reflexion) Wissenschaftstheoretische Reflexion Grundriss der romanischen Philologie Wellentheorie Sprachgeschichte (intern) Junggrammatiker Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Langue bleue (Bolak) Wissenschaft Sprachwissenschaft Brief Deutsch
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Ruprechtsau-Straßburg i/ E. 10.1.86. Lieber Freund.

Die Bogen 8-10 (auf 9/10 die Darlegung über Begriff u Aufgabe der rom. Philologie) sollen diese Woche im Reindruck vorliegen. Die Langsamkeit, mit der der Verf. des paläographischen Aufsatzes Wilhelm Schum (1846-1892), Histor. Hilfswissenschaftler in Halle und Kiel; sein Kapitel („Die schriftlichen Quellen“ mit 4 Tafeln) auf S. 157-196 wurde später von Harry Breslau (1848-1926), seit 1890 Prof. für mittelalterl. Geschichte und histor. Hilfswissenschaften in Straßburg, ersetzt. corrigiert, hat die Herstellung der drei Bogen verzögert. Sein Aufsatz beginnt auf dem 10. Bogen. Vom übrigen ist die erste Correctur in die Druckerei zurückgegangen, also auch 11-14 sind noch nicht fertig. Ich sende sie Ihnen, so bald ich einen lesbaren Abzug erhalte. Wird 9/10 (es werden öfter Doppelbogen gedruckt auf großer Maschine) nicht schon diese Woche ausgedruckt, so werde ich einen Correcturbogen requiriren, um die Verständigung über „Philologie“ herbeizuführen. Als Gegenstand der Philologie Gröber, Grundriss I, 1888, II. Abschnitt „Aufgabe und Gliederung der romanischen Philologie“, 140f. bezeichnete ich die „unverständlich gewordene Rede“, was die Sprachforschung aus der Philologie herauswachsen und die Sprachgeschichte zu einem ihrer Theile werden läßt. Die sprachgeschichtliche Forschung stellt sich zur Psychologie (oder psychologischen Sprach wissenschaft), wie die Biologie zu der Wissenschaft von den Naturgesetzen. Der Veränderlichkeit der organischen Formen der Natur stehen die Naturgesetze gegenüber, wie der veränderlichen Sprache die der seelischen Thätigkeit. Die Biologie zeigt die Wirksamkeit der Naturgesetze, wie die Sprachgeschichte die der erkennend thätigen Seele. Die Gesetze sind in beiden Fällen das aus andrer Betrachtung gewonnene apriori. Sie sind eine bestimmte (vorläufige) Auffassungsform ihres Objectes. Sie werden weder durch die biologische noch durch die sprachgeschichtliche Forschung geändert, sondern diese können die Gesetze nur in Wirksamkeit und in Concurrenz miteinander im Werdeproceß der Lebewesen und der Sprachen zeigen. Eine biologische Wissenschaft, die darauf ausgehen wollte bei jedem Lebewesen dieselben Gesetze des organischen Werdens nachzuweisen kann es nicht geben, da diese dann weder verschieden noch veränderlich sein könnten. Mithin kann auch eine allgemeine Sprachwissenschaft nicht solche Gesetze in den Sprachen entdecken. Ihr kann nur obliegen allgemein das Verhältniß von Sprache und Seele aufzuhellen; der Sprachgeschichte dagegen die seelischen Factoren in ihrer Verbindung und ihrem verschiedenartigen Wirken in den Sprachen, die man Jahrhunderte hindurch verfolgen kann, zu beobachten. Weil hierzu, wie in der Biologie, die Vergleichung nöthig ist, muß nicht schon ein Zusammenschluß des ganzen sprachlichen Materials stattfinden; denn auch die Biologie vergleicht erst Mensch und Mensch, Thier und Thier, Pflanze und Planze. Das augenfällig Gleiche und Verwandte wird gruppiert; aus der Gruppe wird erst herausgetreten, wenn die Vergleichungspunkte erschöpft sind. So hat sich auch die Sprachforschung in Sprachgruppen zunächst heimisch zu machen, ehe sie diese zusammenschließt. Der Sinn der Zusammenschließung kann nur sein die ersten Keime zu entdecken; in der Sprachforschung: die Entstehung von Sprache und Geist: Aber wir müssen langsam vom gegebenen Sprachstoff aus rückwärts schreiten und zunächst die allgemeine Grundlage des als gleichartig oder Verwandt Erkannten ermitteln. Hierzu ist der ganze philologische Apparat erforderlich, wie in der Biologie die ganze Arbeit des Zoologen, Botanikers u.s.w. Zu dem gemeinsamen Ziel muß von verschiedenen Arbeitsstellen (Philologien) vorgedrungen werden; es gilt überall: Reconstruction des Gewesenen, Bloslegung der Genesis des Gekannten. Wer es vorzieht Zoologie, Botanik u.s.w. als Hilfswissenschaften der Biologie zu betrachten, wird die Philologie als Helferin der Sprachforschung ansehen. Aber da der Zoolog gar nicht sieht, was der Biolog braucht, so ist dieser genöthigt selbst Zoolog zu sein, das Material selbst durchzuarbeiten. Genetische Syntax ist ohne philologisches Textverständnis unmöglich. Wie der Einzelne innerhalb des Forschungsgebiets Stellung nimmt, und was er verbindet, kann ihm überlassen bleiben. Je verschiedener die Verbindungen, die gewählt werden, desto verschiedener wird verglichen, desto verschiedener sind die Ergebnisse, desto größer die Erkenntniß des Gegenstands. Wenn sich viele in einer Zeit zu derselben Verbindung hinneigen, so wird danach nicht der Wissenschaftsumfang zu bestimmen sein. Er kann sich nur aus einer Gliederung der gesammten wissenschaftlichen Forschung ergeben. Die Gruppen verschieben sich und einigen sich im Fortschritte des Erkennens.

Ungefähr diese Anschauungen werden Sie im Grundriß von mir vertreten, wenn auch nicht in dieser Weise vorgetragen finden, die sich an Ihre Worte anschließt. Ich halte also gegenwärtig die Sprachforschung noch für eine Seite der philologischen Arbeit. Aber es kommt ja weniger auf den Namen als auf die der philologischen und sprachgeschichtlichen Forschung gegebene Direction an. – Wenn sich die Junggrammatiker mit den Darlegungen in Ihrer Schrift Schuchardt, Ueber die Lautgesetze: Gegen die Junggrammatiker, Berlin 1885. identificieren, so kann das kaum ohne einige Heuchelei geschehen. Denn bei ihnen findet eine blose Umdeutung der Lautregel zum Gesetz, zum Sprachproceß statt, während Sie die einzelne Sprachveränderung (z.B. a frz. e) als eine von einem Punkt ausgehende sich immer weiter verbreitende, einmal irgendwo durch Influenzen besondrer Art zum Stehen gebrachte Bewegung denken, wie sie die Welle etwa veranschaulicht. Diese Anschauung ist neu und liegt keineswegs in der Formel von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze ausgesprochen, um die es sich in Ihrer Schrift handelte. Der Junggrammatiker kann höchstens behaupten, daß sich Ihre Anschauung mit der eignen vereinigen läßt, aber nicht, daß er sie hatte. Ich kann nur andeuten, daß auch ich, in bestimmten Grenzen, die Lautregel hypostasire, die materielle Richtigkeit aber des junggrammatischen Satzes in dem ihm gegebenen Umfange bestreite, und Ihrem Widerspruch deshalb eine klärende Wirkung beimesse. Was ich in der Sache zu sagen weis, wird der Grundriß so in Kürze bekannt machen.

Mit herzlichen Grüßen Ihr ergebenster GGröber.