Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (079-04078)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Ruprechtsau

01. 02. 1891

language Deutsch

Schlagwörter: Académie des inscriptions et belles-lettres Berufungen Universität Leipzig Dialekte Zeitschrift für romanische Philologie Universität Zürichlanguage Vulgärlateinlanguage Lateinlanguage Italienischlanguage Französischlanguage Provenzalisch Birch-Hirschfeld, Adolf Settegast, Franz Zarncke, Friedrich Stiefel, Arthur Ludwig Meyer-Lübke, Wilhelm Plinius Secundus, Gaius Seelmann, Emil D´Ovidio, Francesco Buscaino Campo, Alberto Frankreich Leipzig Italien Stiefel, Arthur Ludwig (1891) Meyer, Wilhelm (1891) Seelmann, Emil (1890) Gröber, Gustav (Hrsg.) (1888) Schuchardt, Hugo (1867) Vollmöller, Karl (1879) Borinski, Karl (1891) Gröber, Gustav (1882)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (079-04078). Ruprechtsau, 01. 02. 1891. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5878, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5878.


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Ruprechtsau-Straßburg i/E 1.2.91

Lieber Freund.

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Zu Ihrer Ernennung zum corresp. Mitglied der Ac. des Insc. et Belles Lettres,2 die ich durch Sie zuerst erfuhr, gratuliere ich Ihnen bestens. Es wird sich bei der Ernennung nicht gerade um Ihre letzten, sondern um Ihre linguistischen Arbeiten überhaupt gehandelt haben, von denen doch gewiß verschiedene Mitglieder des Instituts Kenntniß genommen haben. Sie haben jedenfalls in Frankreich nicht Ihres Gleichen, und daher wird man allgemein diese Wahl natürlich finden. –

Mich hat man hier schließlich noch beim Ordensfest mit dem Rothen Adler IV. Cl. überrascht,3 womit nun wohl die Berufungsangelegenheit ihre letzten Wirkungen geäußert haben wird. Birch-Hirschfeld neben Settegast4 in Leipzig, – Sie haben Recht, der Contrast ist eigentlich gering; aber Z – e’s5 Weisheit hat es so gewollt.

Stiefel habe ich wegen der arabischen Wörter auf S. 210 der Ztschr. XV½  benachrichtigt.6 In seiner, zweifellos grammatisch unmöglich abgefaßten Erwidrung – Plinius – Gellius, 2. Jhdt. – wollte, nehme ich an, Meyer nur erinnern an gewisse einer gewissen Zeitperiode angehörigen Schriftsteller; diese Periode wird mit dem 2. Jhdt. bezeichnet, als der Zeit, wo ihre Eigenart völlig ausgebildet ist. Es sollte aber auch das Datum der Schriftstellerthätigkeit des Plinius – Sueton gelehrt werden. Die abgerissene Art des Ausdrucks schließt die letztre Absicht aus; es bleibt natürlich ungenau, scheint mir aber doch nicht zu dem Seelmannschen Schluß7 zu berechtigen, daß M. nicht wisse, wann Plinius der Ältre geschrieben habe.

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Die Schwerverständlichkeit ist in Meyers Artikel daneben oft genug vorhanden, was ich ebenfalls nicht leugnen kann. Ich gehe mit einigen ältren Zuhörern den Abschnitt Vglat. gegenwärtig durch,8 und bemerke, daß dem Verständniß manche Hindernisse gegenüberstehn. Recht sehr bedaure ich, daß M. in seiner Entgegnung gegen Seelmann die aus Ihrem Vok I 39 erwähnte Stelle irrig aufgefaßt hat. Mir war beim Lesen der Correctur der Satz auch auffällig, wo M. andeutet, daß Sie für die Schreibungen der Inschriften unbedingtes Vertrauen verlangten. Denn ich erinnerte mich dem nicht im Vok. begegnet zu sein. Doch glaubte gewiß M. nicht ohne Grund eine solche Behauptung aufstellen und noch dazu die Stelle citiren zu dürfen, wenn doch das Betreffende mißzulesen wäre. Ich sehe, daß ich M.s Aufsätze in der Ztschr. doch nachkontrolliren muß, was ich mir dachte ersparen zu können. M. ist von mir auf diesen Fall, auf Grund Ihres Briefes, aufmerksam gemacht worden und wird hoffentlich die Gelegenheit finden seinen Irrthum einzugestehen und sich zu rectifizieren.

Mit „Censurstrichen“ st[att] „Censurstücken“ haben Sie vermuthlich Recht. Ich habe den Artikel nur revidirt, nicht in Correctur gehabt, weiß also auch nicht was im Ms. gemeint war. Auch Censurstriche beim Poema del Cid bleibt noch dunkel.

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Daß Sie meinen Artikel über „Legato“ u. „Staccato“11 angesprochen haben, freut mich sehr. Das Nebeneinander von Legato (im Wortauslaut) und Staccato (im Wortinlaut) der lat. Sprache scheint mir im Italienischen eine Parallele zu haben wo auch Voc. u. anl. Voc. zu einer Silbe verschmilzt, aber Staccato im Innern besteht. Auch die Franz. Elision des ausl. e (provenz.a) u.sw. scheint auf das Legato beim Uebergang |3| von Wort zu Wort oder wenigstens ausl. Voc. + Anlaut hinzudeuten. Lingua habe auch ich nur in Italien gehört; lin – guaist mir aber von Mitgliedern des hiesigen Cerchio italiano behauptet worden, die es entweder aus geziertem Munde gehört haben (in Italien waren sie), oder den Fall mit in, con (+ conoscenza), concredere hier einmischen. Ich habe in einer Anmerkung der Sache hypothetisch gedacht (totum in lingua u.sw.), und zwar auch nur im Hinblick auf d’Ovidios Ansetzung des n m vor d t  b p  g c als An[n]usiora,12 oder gleichbeschaffene Nasallaute (Grundriß I 479), was mir ebensowenig einleuchtet. Denn Orthoepiker zB. Buscaino Campo13 lassen den Nasalcharakter durchaus vom folgenden Consonanten abhängig sein. – Ich würde gern Weitres über den Staccatoartikel hören und wünsche, daß er so geschrieben ist, daß die Verdauung nicht allzu anstrengend ist.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr ergebenster

GGröber


1 Die Transkription und Kommentierung dieses Briefs ist nicht nur wegen der flüchtigen Schrift Gröbers sehr aufwändig, sondern auch wegen der darin enthaltenen Anspielungen. Offenbar hatte Gröber Schuchardt gebeten, Druckbögen von ZrP XV, 1891, gegenzulesen und geht jetzt auf dessen nicht überlieferte Anmerkungen ein.

2 Die Anfänge der Académie des Sciences et Belles Lettres gehen bereits auf das Jahr 1663 zurück, doch erhielt sie ihre Statuten erst in den Jahren 1701 / 1716.

3 Der Rote Adlerorden war en preußischer Verdienstorden, der als Großkreuz und in vier Klassen verliehen wurde. Der Stiftungstag dieses Ordens war der 18. Januar. Zum Ruf nach Leipzig vgl. Lfd.Nr. 078-04077.

4 Vgl. Lfd.Nr. 078-04077. Franz Gustav Settegast (1852-1931) hatte sich 1876 in Leipzig romanistisch habilitiert und wurde nach einem Interregnum in Zürich (1877-1883) 1886 als ao. Prof. für Romanische Sprachen nach Leipzig zurückgeholt.

5 „Zarnckes“, vgl. Lfd.Nr. 078-04077.

6 Arthur Ludwig Stiefel, „Lope de Rueda und das ital. Lustspiel“, ZrP XV, 1891, 183-216, 381f.; hier 210 Fn. 3. Zum Verf. (1852-1915) vgl. Romanistenlexikon (online). Stiefel war Gymnasialprofessor in München und ein rühriger Hispanist, der eine sehr spitze Feder führte.

7 Wilhelm Meyer, „Entgegnung“, ZrP XV, 1891, 281-283, gegen: Emil Seelmann, Gött. Gel. Anz. 17, 1890, 665-687“. Dessen vernichtende Kritik von Meyers Beitrag zum Grundriss I, 1888, 351f., „Die lateinische Sprache in den romanischen Ländern“, gipfelt in der Schlussfolgerung: „Ein Mann, der das Zeitalter des älteren Plinius nicht kennt, schreibt über die Perioden und Denkmale lateinischer Litteratur; ein Mann, der nicht weiß, was ein ,Sonant‘ ist, verbreitet sich über Phonetik; ein Mann, der in dem schulmässigen classischen Latein sich nicht zurecht findet, Petron und die anderen volkslateinischen Denkmale kaum vom Hörensagen kennt, wird von Altmeistern der Wissenschaft als glänzende Autorität für Vulgärlatein gefeiert“.

8 Grundriss I, 1888, 355f.

9 Schuchardt, Der Vokalismus des Vulgärlateins I-II, Leipzig 1867.

10 Im gedruckten Text von K. Borinski, „Konrad Hofmann †“, ZrP XV, 1891, 279 lesen wir „Zensurstücke“.

11 Gröber, Rez. von Eduard Wölfflin, „Über die allitterirenden Verbindungen der lateinischen Sprache“, SB d. kgl. Bayr. Ak. d. Wiss., Hist.-phil. Cl. 1881, II, 1-92“, ZrP VI, 1882, 467.

12 Im Sinne von „Schnüffellaute“?

13 Alberto Buscaino-Campo (1826-1895), ital. Mediziner und Sprachforscher aus Trapani.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04078)