Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (039-04038)
von Gustav Gröber
an Hugo Schuchardt
07. 11. 1880
Deutsch
Schlagwörter: Dankschreiben Korrekturlesen Zeitschrift für romanische Philologie Zeitschriften-Beitrag Bibliographie de la France : ou Journal général de l'imprimerie et de la librairie Universität Straßburg Universität Heidelberg Knapp, Georg Friedrich Boehmer, Eduard Neumann, Fritz Baden-Baden Moreau de la Sarthe, Jacques L. (1808) Baragiola, Aristide (1876)
Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (039-04038). Ruprechtsau, 07. 11. 1880. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5856, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5856.
Ruprechtsau-Strassburg, 7.11.1880.
Verehrtester Herr College.
Ich habe weder für Ihren freundl. Glückwunsch zu meiner Uebersiedlung nach Strassburg gedankt, noch Ihre Frage bez. der Physiologie morbide1 beantwortet. Entschuldigen Sie dies freundl. mit den vielerlei Abhaltungen, die Veränderung des Aufenthaltsortes und Wirkungskreißes mit sich zu führen pflegen.
Zunächst also meinen besten Dank für Ihren Glückwunsch. Wir – meine Frau, Kind und ich,2 befinden uns bisher sehr wohl hier. Wir bewohnen ein kleines hübsches Landhaus vor der Stadtgrenze mit großem engl. Garten, und haben uns behaglich und ganz nach unsern Wünschen eingerichtet. Die Besuche bei Behörden und Collegen sind absolviert; man lebt hier auf einem verhältnißmäßig bequemen Fuße. In der Facultät und bei der Studentenschaft bin ich nicht auf die geringste Schwierigkeit gestoßen; die 50 rom. Philologen, die ich dahier angetroffen, werden sich unschwer vermehren lassen (ich thue das freilich nicht gern). Sich hier zu befestigen ist sehr leicht, und über mancherlei Kleinigkeiten sieht man hinweg. Das Studentenmaterial ist etwas besser als in Breslau, aber der billigste Mann ist auch hier der beliebteste. Ueber den Elsässer schreibe ich ihnen nichts, weil er mir anfangs gefiel, später mich abstieß und ich |2| die objective Mitte noch nicht gefunden zu haben meine.
An Knapp3, den ich leider als halben Patienten traf, der mir aber einen sehr angenehmen Eindruck gemacht hat, habe ich Ihren Gruß bestellt. Baragiola4 werde ich nächstens Ihr Anliegen bez. seiner Schrift über Leopardi,5 an der ich nichts bemerkenswerthes gefunden habe, vortragen; er wird Ihnen zweifelsohne seine Arbeit zur Inventarisirung senden.
Ueber die Physiol. morb. habe ich mich leider bei den Collegen hier vergeblich erkundigt.6Böhmer ist, wie Sie wissen, nicht mehr hier, und für mich in Lichtenthal b. Baden Baden wo er sich niedergelassen, nicht erreichbar. Möchten Sie sich nicht einmal bei Neumann erkundigen?7 Derselbe arbeitet seit 1879 die französ. Bibliographien durch, und könnte am leichtesten auf das Buch gestoßen sein. Haben Sie übrigens den Materien Index zur Bibliographie de la France nachgeschlagen? Hier würde das Werk am Leichtesten ausfindig zu machen sein. –8
Bez. des Druckfehlers Gued9 in der Bibliographie kann ich Sie Glücklicherweise auf die Verbesserung am Schlusse des Heftes verweisen, wo Sie den richtigen Guad finden. Die N° der Gött. G. Anz. wäre freilich immer noch falsch. Aber lassen Sie Entschuldigungsgründe gelten. 1) Habe ich eine heillose Schrift 2) Sind meine Quellen für die Bibliographie, wie Sie wissen werden, häufig genug indirecte (ich muss auch aus Recensionsverzeichnissen schöpfen), 3) ist Bibliographie 1878 von mir in Paris im vorigen Jahre |3| zu einem Theile corrigirt worden (Bogen 1-2 wenigstens), Contrôle war dort nicht zu üben 4) hat Mussafia in nicht genug zu bewundernder Aufopferung auch von Bibliographie 1878 eine Correctur gelesen, – Sie sehen auch dies war kein ausreichender Schutz. Ich habe mich dann auch, im Bewußtsein, daß ohne weitgehende Unterstützung der Fachgenossen mir nicht möglich sein würde, eine ganz propere Bibliographie zu liefern, die Arbeit von 1879 an Herrn Neumann in Heidelberg abgetreten. Freilich bedauere ich ihn, wegen der Sclavendienste, die er den Fachgenossen zu leisten sich hat bereit finden lassen, aber ich kann auch nicht verhehlen, daß ich weniger beklommen athme, seitdem ich das Gespenst der Bibliographie, die mir tagaus tagein 2 Stunden täglich gekostet, nicht mehr hinter meinen Fersen weis und nicht mehr gefährdet bin einen zweifelhaften Dankesausdruck für diese Art litterarischer Thätigkeit entgegenzunehmen. Genug des undankbaren Postens, auf dem ich 4 Jahre nun bei der Zeitschr. ausharre. Nicht die Wirkung ihres Segens, der auf mich herabträufelte, ist es, wenn mir der Kopf noch nicht durch die Haare gewachsen ist. Schaffen auch Sie mir Trost, indem Sie mir recht bald etwas von den geplanten Beiträgen zur Zeitschr. senden. Je mehr Sie schicken, desto besser wird sie ihren Platz ausfüllen.
Ich hoffe daß Sie genußreiche Ferien verleben konnten und jetzt amtlich frei genug sind Ihre wissenschaftlichen Pläne eifrig zu fördern. Mit herzlichsten Grüßen
Ihr
GGröber.
1 Nicht identifiziert; das Thema wurde im 19. Jhdt. mehrfach behandelt, vgl. z.B. Jacques L. Moreau, Description des principales monstruosités dans l’homme et dans les animaux, précédée d'un discours sur la physiologie et la classification des monstres, Paris 1808 u.a.
2 Gröber war seit 1875 mit Elisabeth Weitenweber, Tochter eines böhmischen Steuereinnehmers, verheiratet und hatte zu diesem Zeitpunkt eine Tochter, Johanna, die später den Klass. Philologen Richard Heinzel heiratete; der Sohn Paul, später Prof. der Geologie in Buenos Aires, wurde erst 1885 geboren.
3 Georg Friedrich Knapp (1842-1926), seit 1874 Wirtschaftswissenschaftler an der Straßburger Wilhelmsuniversität; Schwiegervater des späteren deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss; Schuchardt korrespondierte mit Knapp seit 1872, vgl Bibl.Nr. 05671-05681.
4 Aristide Baragiola (1847-1928), Germanist, Romanist, Volkskundler, zeitweise Dozent an der Univ. Straßburg.
5 Baragiola, Giacomo Leopardi filosofo, poeta et prosatore, Straßburg 1876.
6 Vgl. den Anfang des Briefs.
7 Fritz Neumann (1854-1934), zu diesem Zeitpunkt noch romanistischer Privatdozent in Heidelberg, wo er nach einem Freiburger Intermezzo 1890 Ordinarius wurde. Sollte Schuchardt ihn nach dem Buchtitel gefragt haben, so ist in der von Neumann mit Schuchardt erhaltenen Korrespondenz eine solche Anfrage nicht nachweisbar.
8 Ein Werk mit diesem Titel konnte in der Bibliographie de la France für diesen Zeitraum nicht nachgewiesen werden.
9 In den Bibliographien von 1879 und 1880 nicht identifiziert.