Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (036-04035)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Breslau

09. 04. 1880

language Deutsch

Schlagwörter: Politik- und Zeitgeschichte Druckwesen Frankfurter Zeitung Bartsch, Karl Friedrich Arbois de Jubainville, Henry d´ Paris, Gaston Meyer, Paul Förster, Wendelin Hasdeu, Bogdan Petriceicu Gaster, Moses Gärtner, Gustaf Schuchardt, Hugo (1880) Gärtner, Gustav (1875)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (036-04035). Breslau, 09. 04. 1880. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5852, abgerufen am 10. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5852.


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Breslau, 9. April 1880.

Verehrtester Herr College.

Mit aufrichtigem Danke habe ich Ihre Bereitwilligkeit zu einer Aendrung der in Ihrer Besprechung von W.s Gr. enthaltnen Aeußerung gegen Bartsch entgegengenommen.1 Ich habe den Satz gestrichen, in dem Sie den von B. gebrauchten Ton mißbilligen. Es bleibt stehen die Hinweisung auf Zeuss‘ und Ebels, der A[rboi]s de J[o]ubainville ähnlich[e]n Stellung zur Frage, also eine schwächere oder verdeckte Mißbilligung, mit der, ich hoffe es, Sie sich diesmal, auch zu meinem Besten, befriedigt finden werden. Das Manuscript ist bereits nebst der Miscelle zu Foersters Aufsatz in der Druckerei.2

Auf das Verhalten in Ansehen stehender Franzosen gegen uns aufmerksam zu machen bin ich nur durch Ihre Bemerkung über das Kutschkelied veranlaßt worden.3 Daß der Chauvinismus in Paris die üppigsten Blüthen in den größten und respectirtesten Pariser Zeitungen treibt, davon bin ich während meines Aufenthalts in Paris Zeuge gewesen, auch Zeuge einer empörenden Verlogenheit französ. Journalisten gegenüber allem was Deutschland angeht. Doch handelt es sich hierum bei der von uns besprochenen Angelegenheit nicht. Aber jedenfalls spricht aus der Art und Weise, wie G. Paris sich gegen Bartsch ausläßt und Meyer gegen ihn und andre, eine Stimmung, die grundverschieden ist von der, die vor dem Jahr 1870 bei P. und M. zu finden war. Sie ist umso auffälliger als G. Paris von Bartsch noch als „Freund“ angeredet wird, und Bartsch auch nichts von einer Veranlassung zur Mißstimmung auf Seiten Meyers gegen ihn weis. Daß Bartschs [sic] jemals gegen P. oder M. sich agressiv verhalten, wüßte ich mich nicht zu erinnern; er wehrte sich jetzt, wenn auch in etwas derber Weise, seiner Haut, wobei leider A. d. J[oubainville] mit hineingezogen wurde.

Ich darf von jener Mißstimmung nicht sprechen ohne zu constatiren, daß G. Paris der liebenswürdigste Mann ist, dem ich je begegnet bin, und daß mein wiederholter Verkehr mit ihm in Paris der denkbar angenehmste gewesen ist. Was ihn bestimmt hat gegen Bartsch einen andern, als den Ton der Achtung zu gebrauchen, weis ich nicht; fast schien es mir, als ob P. selbst nicht wisse, wie übel der von ihm angeschlagene geklungen. Denn merkwürdiger Weise nannte auch er sich |2| noch – wir sprachen in Paris über Bartschs Ausfall gegen A. d. J[oubainville], – Bartschs Freund. Vielleicht ist es Gewöhnung unter den französ. Fachgenossen geworden, wie es lange Zeit ja auch bei uns der Fall war, über B.s Arbeiten die Achseln zu zucken.

Doch, ich bin nicht verpflichtet, den Dingen nachzuforschen. Ich wünschte Sie nur zu überzeugen davon, daß ich keineswegs „auf die Franzosen schlecht zu sprechen bin“, und daß ich durchaus die Achtung vor ihren Leistungen theile, zu der Sie sich bekennen, sodaß ich nicht für möglich halte, daß durch unsre letzten Briefe irgendeine Störung in unsern Beziehungen eintreten könne. Die Unschuld des bei Gelegenheit des Geburtstags des deutschen Kaisers in Meran gesungenen Gedichts bekunden seine Reime;– Sie wundern sich nun selbst über den Zorn des Berichterstatters der Zeitung, den Sie dem Ausschnitt entnehmen; – ich bin überzeugt, der Dichter wußte nicht, daß Königgrätz in Oesterreich liegt.4

Mit dem „Heben“ meint Foerster in seinem Artikel offenbar „sich erheben“ und ein sich erhöhen, bei welcher Bezeichnung eine räumliche Vorstellung übertragen ist auf die Vocalbildung und i und u nebst den andern palatalen u. labialen Vocalen als über der a-Stufe liegend gedacht sind. Natürlich ist damit gar nichts gesagt und die nicht schwierige Erklärung warum unter Einfluß von i, u statt des ursprünglichen Vocals der nächstliegende in der Richtung zum entsprechenden Extremvocal gebildet werde, nicht gegeben. In Bezug auf den Gebrauch des =Zeichens habe ich dem Drucker keine Anweisung gegeben. Sicher ist es, daß man in die Lage kommt das Product der Basis und umgekehrt dieses jenem in grammatischen Untersuchungen voranzustellen. Ich bin gewöhnt mich für die Basis der Antiquaschrift, für den entwickelten Laut der Cursivschrift zu bedienen, wodurch eine Einfügung von Lat. Kelt. etc. vor dem Grundlaute überflüssig wird. Ich weis nicht, ob Sie in Ihren beiden der Ztschr. gesandten Artikeln damit auskommen. In diesem Falle würde ich Sie bitten bei der Correctur die nöthigen Angaben zu machen.

Eine Anzeige von Hasdeus Buch erwarte ich von Gaster, etwa für IV, 2 oder IV, 3. Ihre Notiz zu derselben werde ich natürlich gern beifügen.

Von Gärtners Dissertation5 fand ich noch ein Ex. bei mir vor. Ich sende es |3| unter Kreuzband. Er ist von Brieg hier her versetzt worden, seine Adresse ist mir nicht näher bekannt, vielleicht hat er meine Aufforderung Ihnen selbst das gewünschte Ex. zu senden nicht erhalten. Er hätte es sonst jedenfalls gethan.

Entschuldigen Sie fr. meine unleserliche Schrift. Ich muß mich in Bezug auf sie zu einer unverbesserlichen Schwachheit gegen mich bekennen.

Herzlichst grüßend

Ihr ergebenster

GGröber.


1 Vgl. dazu Lfd.Nr. 035-04034.

2 Schuchardt, „ Zu Foersters romanischer ,Vokalsteigerung‘ (Zeitschr. f. r. Ph. III 481-517)", ZrP 4, 1880,113-123.

3 Vgl. Lfd.Nr. 035-04034.

4 Kaiser Wilhelm I. feierte seinen Geburtstag am 22. März 1880 in Meran. Sowohl das Vorarlberger Volks-Blatt als auch "Das Vaterland" zitieren einen Bericht aus der Frankfurter Zeitung, worin der erste Vers eines für den Kaiser gedichteten Liedes wiedergegeben ist: "Sieger von Königgrätz, Heil König, Dir geräth's". Bereits nach dem Vortrag dieser Zeilen musste der Gesang abgebrochen werden. Der Berichterstatter des uns vorliegenden Artikels (im Vorarlb. Volks-Blatt und in "Das Vaterland") schrieb über den Grund dieses peinlichen Vorfalls Folgendes: "Der Poet, der diese Verse verbrochen, [...], und das Festcomité, welches sie zum Drucke befördert hat, scheinen dabei ganz vergessen zu haben, daß sie in dem gut österreichisch gesinnten Tirol gesungen werden sollten, und daß die Erinnerung an Königgrätz die Bürger der Stadt und die vielen als Kurgäste hier weilenden Österreicher unbedingt verletzen mußte." Die Schlacht bei Königgrätz 1866 gewann Preußen gegen Österreich und Sachsen. Für Details zu diesem "Vorfall" auf der Geburtstagsfeier des Kaisers vgl. Vorarlberger Volks-Blatt, Nr. 27 (2. April 1880), S. 1, Sp.2:  http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vvb&datum=18800402&seite=1&zoom=33

5 Gustav Gärtner, Der Iwein Hartmanns von Aue und der Chevalier von Lyon des Chrestien von Troies, Breslau 1875 (Diss. inaug. Breslau). Gärtner wurde 1879 von der Landwirtschaftsschule in Brieg an die Oberrealschule in Breslau versetzt.

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