Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (034-04033)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Breslau

25. 04. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Lautwandel Diphthongierung (Lautwandel) Diezstiftung Delius, Nikolaus Jannet, Pierre/Marot, Clément (1876)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (034-04033). Breslau, 25. 04. 1879. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5848, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5848.


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Breslau, 25. April 1879.

Verehrtester Herr College.

Auch im Herzen habe ich Ihre Erklärung von ou in amourlabour nicht für „schnellfertig“ gehalten, und was ich ihr entgegenstellte, konnte nur dazu dienen wollen das Verwickelte der Frage darzulegen, während mir Ihre Auffassung beim ersten Lesen sehr einleuchtend erschien und ich nur an der Vereinzelung der Wörter Anstoß nahm. Die meisten amour von mir zur Seite und entgegengestellten Formen lassen Ihre Bemerkungen aus Sevilla als nicht in Rechnung kommend erscheinen; nous vous finden als Proklitica sehr gut ihre Erklärung, – die Häufigkeit ihrer proklit. Verwendung mag bestimmend für ihre Gestalt im Falle der Betonung gewesen sein* [* nen aus non war vorhanden, ist aber diesem gewichen]. Auch pour erledigt sich so, und bildete wiederum leur einen Gegensatz zu nous vous. Auch epoux muß, wenn man moustre (monstrat, monstrum), couste (constat), cousdre ( consuere) etc. vergleicht, als regelmäßig, wenn auch nicht wie primäres -os(us) entwickelt, erscheinen. Ein Wort, wo -ons- zu -eus- geworden wäre, ist meines Wissens nicht vorhanden. Zu den Fällen, wo -os- : -ous- ergeben hat, ließe sich noch Toulouse hinzufügen, als Eigenname kaum beachtenswerth. So blieben denn wirklich nur amour und labour gegenüber humeur und labeur (saveur etc.). Darunter ist aber labour wegen seines b offenbar verdächtig der Volkssprache zur Zeit des Uebergangs von ou zu eu nicht angehört zu haben, wenn es auch im XII. Jahrh. (Oxf. Psalter, Chrestien de Tr.) in der Form laborlabur schon zu belegen ist. Dann stünde allein; zur Erklärung seiner Anomalie reichte vielleicht seine extensirte und intensirte Verwendung, von der Sie sprechen, vollkommen aus, und es wäre nicht mehr nötig auf den vorangehenden Labial zu verweisen, der auch bei dem, übrigens auch nicht alten humeur ja nicht in Entsprechung kommt. Sollte man aber zur Erklärung von amour nicht auch an das Schwanken pikardischer Handschriften in Bezug auf -orem, -atorem etc., wofür im selben Texte eur our eour üblich ist, erinnern können? Und was hat man aus einem Reim, wie bei Marot I, 289 (Jannet)1jalouse : malheureuse zu schließen? Wahrscheinlich findet man im 16. Jahr. andre dazu.

Auch diese Bemerkungen nur zu dem Zwecke zu zeigen, daß ich noch nicht weis, wie ich Ihre Bemerkungen über amour etc. in Ihrem Sinne formuliren könnte, ohne befürchten zu müssen, daß Sie dafür zur Verantwortung gezogen würden. Die Frage ist jedenfalls interessant und wer weis, was sich ergiebt, wenn man sie weit genug durchdenkt. Sie sollten sie im Auge behalten, und mir Ihre Ausführungen für die Zeitschrift schicken. Ich werde gern für Sie nachschlagen, wenn Sie es dort nicht können, oder – denn Sie haben in Spanien Besseres zu thun – nicht mögen; ich werde auch selbst gelegentlich der Sache nachforschen und Ihnen |2| mittheilen, was ich gefunden.

Heute nur noch die Sie, wie ich glaube, interessirende Mittheilung, daß der Statutenentwurf zur Diezstiftung gegenwärtig der oesterr. Academie, der Accad. de‘ Lincei und der Acad. des Bell. Lettr. zur Approbation vorgelegt ist; daß das Ergebniß der Sammlung des Berliner Comités einschließlich der oesterreich. Sammlung und den von G. Paris bedingungslos überwiesenen 810 Mark des Pariser Comités sich auf 9945 Mark beläuft, wozu noch 2580 Lire vom Ital. Comité kommen, wenn die Accad. de‘ Lincei ihre Zustimmung zum Statut gegeben haben wird, daß aber noch weiter gesammelt werden soll, damit in vierjährigen Zwischenräumen wenigstens eine Zwischensumme von 2000 Mark vergeben werden könne. Als Neuestes erfahre ich sodann, daß Delius2 Geh. Rath geworden und seine Stelle als Ordin. niedergelegt hat.

Herzlichste Grüße und die besten Wünsche für einen genußvollen Aufenthalt unter spanischem Himmel

Ihr

GGröber


1 Oeuvres complètes de Clément Marot [Texte imprimé] / revues sur les éditions originales, avec préface, notes et glossaire, par M. Pierre Jannet, Paris 1873-1876, 4 Bde. (Am Ende von Epître LX: Car en amour fut si très-malheureuse /  Aprés l’effect que de moy fut jalouse).

2 Nikolaus Delius (1813-1888), Philologe und Anglist, Prof. in Bonn, bedeutend durch seine kommentierte Shakespeare-Gesamtausgabe, bei seiner vorzeitigen Emeritierung zum Geh. Regierungsrat ernannt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04033)