Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (017-04016)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Breslau

23. 04. 1877

language Deutsch

Schlagwörter: Metrik Diezstiftung Literarisches Centralblatt für Deutschland Romania (Zeitschrift) Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften (Berlin) Magazin für die Literatur des Auslandes Sonderabdruck Zarncke, Friedrich Tobler, Adolf Paris, Gaston Niemeyer, Maximilian David Italien Storost, Jürgen (1992) Ascoli et al. (1878) Storost, Jürgen (2001) Schuchardt, Hugo (1877) Schuchardt, Hugo (1877)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (017-04016). Breslau, 23. 04. 1877. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5831, abgerufen am 01. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5831.


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Breslau 23. April 1877.

Werthester Herr College.

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Ich habe mich sehr gefreut, Ihren Aufruf zu erhalten, und gestern die Nachricht über das Inslebentreten eines italienischen Comités zu erfahren.2 Auf Erstern hätte ich gern noch in der Zeitschrift Bezug genommen, wenn er nicht einen Tag nach Abschluss des Heftes in meine Hände gelangt wäre. Inzwischen hat sich ja Zarncke in erfreulicher Weise desselben angenommen.3 Heft 2 der Zeitschrift wird auf die weitere Entwicklung des Unternehmens zurückkommen müssen, und Ihrer Bemühungen zu gedenken haben.

T.s einzige Aeusserung in der Angelegenheit der Stiftung scheint bis jetzt die Veröffentlichung der Beitragsliste zu sein,4 die wohl zugleich eine Antwort auf Ihre Bemühungen sein sollte. Ueber den Abdruck des Aufrufs in der Romania schrieb er mir vor mehrern Wochen, dass derselbe dort lediglich übersetzt sei: zu meinem Erstaunen habe ich aus dem Hefte nun selbst ersehen, dass G. Paris doch etwas mehr thut, wenn er zur Discussion über die definitive Gestaltung der Stiftung auffordert.5 Sagt Tobler nicht, daß G. P. auch den Aufruf dahin versteht, dass das Comité kein definitives und die Uebergabe der gesammelten Gelder an die Berliner Academie als nur eventuell betrachtet? – Wenn T. nur Subcomités zulassen will, so scheint er bei seiner Ansicht zu verharren, und es wird schwer fallen, ihn zu bestimmen, auf eine Discussion einzugehn, die er bereits früher ab­gelehnt hat. Ohne besondres Rüstzeug werde ich schwerlich etwas bei ihm ausrichten. Meine Auffassung über die Bedeutung des bestehenden Comités und die Andeutung über die B. Academie im Aufruf wird zwar von G. Paris und von Ihnen, sowie von den Unterzeichnern Ihres Aufrufs getheilt, aber das wird ihm nicht genügen. Konnte er es schon über sich gewinnen eine Sitzung zu halten ohne über die Beschlüsse derselben Nachricht zu geben, und meiner Anregung die von Ihnen aufgeworfenen Fragen den Comitémitgliedern zur Begutachtung vorzulegen, ein einfaches nolo entgegenzustellen, so ist auf der gegebnen Grundlage wenig Aussicht vorhanden, etwas bei ihm (wunderbar, dass es sich bei 12 Comitémitgliedern immer nur um ihn zu handeln scheint; freilich nicht ganz Berlin = 9 Stimmen + Süchier6 = 10 = Er.) |2| auszurichten. Also schaffen Sie mir Mittel: eine Erklärung der Romanisten (resp. der Vertreter derselben) in Italien, dass sie nur unter bestimmten Bedingungen in Action für die Stiftung treten wollen, oder dass sie den bestimmten Wunsch haben, von dem Comité in Berlin zu vernehmen, ob und unter welchen Bedingungen es einem für Italien zu begründenden Comité bestimmte Befugnisse einräumt und Einfluss auf die Constitution der Stiftung gestatten wolle, – dann kann ich vielleicht etwas zu Stande bringen, wenn es in einem solchen Falle meiner Vermittlung bedarf. Auf meine Stimme und meinen Rath giebt Tobler, weil er weis, dass er die Majorität des Comités auf seiner Seite hat, sicher ebensowenig etwas, als er Ihnen entgegenkam. Es bedarf gröberen Geschützes. Ich kann auch nicht einmal einen Antrag stellen, da das Comité keine Statuten hat, auf die ich mich dafür berufen könnte ( T. wird sie auch nicht für ­nöthig gehalten haben, da er der Majorität für alle Fälle sich versichert halten dürfte), ich habe dennoch selbst als Comitémitglied ohne kräftigen Rückhalt keine Macht etwas durchzusetzen. Ich schließe mich dennoch der „Toblerschen Interpretation des Aufrufs“ nicht an, aber ich muss mich doch ihr als alleinstehend fügen: nur dies kann ich in einem meiner Briefe an Sie angedeutet haben. Dazu muß ich noch bemerken, dass T. meinen Zusatz zum Aufruf in der Zeitschrift (die Sie wohl schon erhalten haben)7 vollständig gebilligt hat, obwohl es darin wenigstens heisst: „eine über Diez Heimathland hinaus wirkende Stiftung, bei der den Interessen aller betheiligten Länder gleichermassen Rechnung getragen werden wird“, womit doch auf die Einwirkung der Ausländer auf die Constitution der Stiftung hingewiesen ist; T. hat das nicht einmal als mehrdeutig angesehn oder Auskunft verlangt. Ich habe die Worte natürlich nur in dem bezeichneten Sinne geschrieben.

Doch ich weis nicht wieweit die Angelegenheit in Italien vorgerückt ist. Halten Sie es für erreichbar (und für zulässig) so verschaffen Sie mir ein Instrument der oben erwähnten Art, oder helfen Sie mir auf den Weg. Daß ich im Comité keine Majorität erzielen kann, werden auch Sie erkennen, ich muß mit T. selbst unterhandeln, und muß in der Lage sein es mit Nachdruck thun zu können. Ich wünsche sehr, daß wir ihn bezwingen.8

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Ihre Erörterung über die Frage in der „Gegenwart“9 habe ich gelesen, ebenso die Empfehlung Ihres Gedankens im Mag. f. Lit. des Ausl. (Ist der Verfasser nicht Goldbach?10). Ist noch Weiteres erschienen?

Da ich nicht sicher war, ob Sie nach den unerfreulichen Correspondenzen mit T. es noch für angezeigt hielten, ihm die Recension über Stünkel zuzustellen, so habe ich sie ihm vor 8 – 10 Tagen im Aushängebogen gesandt, – ohne bis jetzt eine Aeußrung von ihm darüber zu vernehmen.

Schreiben Sie mir gelegentlich doch ein paar Worte über das 1. Heft der Zeitschrift: wie Ihnen Einrichtung, Ausstellung u. dgl. gefällt, und was Sie der Abändrung bedürftig halten. Ich würde Ihnen dafür sehr dankbar sein. Separatabdrucke und Honorar hat N. wie er mir gestern schrieb, versandt, beides wird also schon in Ihren Händen sein.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

G. Gröber


1 Von „Werthester Herr College!“ bis „...Ist noch Weitres erschienen?“ vgl. Storost, Hugo Schuchardt und die Gründungsphase, 1992, 62-63.

2 Appello agli studiosi italiani concernente la "Fondazione Diez", zuerst erschienen als Flugblatt (20. 4. 1877), später abgedruckt im AGI 4, 1878, 425-428.

3 Der Leipziger Germanist Friedrich Zarncke (1825-1891) hatte 1850 das Rezensionsorgan Litterarisches Centralblatt für Deutschland gegründet. In der Nummer vom 21.4.1877, S. 582, veröffentlichte er einen Hinweis auf die Gründung des österr. Diez-Komitées, vgl. Storost, Hugo Schuchardt und die Gründungsphase, 1992, 66, Anm. 107.

4 ZrP 1, 1877, 488 u. 581. Auf S. 488 heißt es: „Eine erste Liste des Pariser Comités, die Herr G. Paris in der Romania (N° 22) veröffentlichte, weist die Summe von 875 Frcs. auf“.

5 Romania 6, 1877, 158. Seine persönliche Bemerkung lautet: „Nous n’avons pas besoin de dire que l’œuvre entreprise par le comité de Berlin a toute notre sympathie. Nous serions heureux que la France contribuât pour une large part à encourager des études auxquelles elle doit tant, et à rendre honneur au maître vénéré qui a été, chez nous aussi, l’initiateur du mouvement philologique actuel. Nous engageons donc nos lecteurs à contribuer, autant qu’ils le pourront, à donner de la publicité à l’appel du Comité Diez. Nous accueillerons aussi avec plaisir les suggestions qu’on pourrait nous adresser relativement au meilleur emploi à faire des fonds recueillis. Le comité n’ayant pas encore de vues absolument arrêtés à ce sujet, il nous semblerait bon que les diverses opinions qui peuvent se former se produisissent en public“ (159).

6 Gem. ist Hermann Suchier.

7 ZrP 1, 1877, 161-164: Gröber lobt die Initiative zur Errichtung der Diez-Stiftung in Deutschland, betont aber zugleich. „mit besonderer Genugthuung aber wird es erfüllen, dass zu einmüthigem Zusammenwirken mit den Unterzeichnern Vertreter der romanischen Philologie in romanischen Ländern sich vereinigt haben, deren Zustimmung das Vertrauen zu dem Zustandekommen einer Diez‘ Namen würdigen und über sein Heimathland hinauswirkenden Stiftung, bei der den Interessen aller betheiligten Länder gleichermassen Rechnung getragen werden wird“ (163).

8 Vgl. auch Jürgen Storost, 300 Jahre romanische Sprachen undd Literaturen an der Berliner Akademie der Wissenschaften, 2 Teile, Frankfurt a.M. [u. a.], 2001 (Berliner Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, 4, 1-2), I, 234-240 (2.1.1. Die Diez-Stiftung).

9 Schuchardt, „Die Diezstiftung“, Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 11, 1877, 222-224. [Archiv-/Breviernummer: 091].

10 Vermutlich der zeitweise in Graz lehrende Altphilologe Alois Goldbacher (1837-1924).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04016)