Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (010-04009)
von Gustav Gröber
an Hugo Schuchardt
27. 02. 1877
Deutsch
Schlagwörter: Rezension Zeitschriftenbeitrag Diezstiftung Bitte um Rezension Korrekturlesen Metrik Romanische Philologie Westslawische Sprachen Rumänisch Sievers, Eduard Jung, Julius Hasdeu, Bogdan Petriceicu Tobler, Adolf Ebert, Adolf Paris, Gaston Mussafia, Adolf Bartsch, Karl Friedrich Ascoli, Graziadio Isaia Kräuter, J. F. (1877) Jung, Julius (1877) Gaster, Moses (1878) Schuchardt, Hugo (1877) Schuchardt, Hugo (1877) Storost, Jürgen (1992)
Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (010-04009). Breslau, 27. 02. 1877. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5825, abgerufen am 15. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5825.
Breslau, 27. Febr. 1877.
Verehrtester Herr College!
Ich habe für das erste Heft der Zeitschrift eine größre Anzahl Besprechungen von Büchern erhalten, unter denen die meisten kaum mehr als Anzeigen sind, aber doch auch eine Anzahl solcher, die auf einem genauen Studium der betr. Werke beruhen, denselben vollständig gerecht werden und zugleich gediegene Erörtrungen der in ihnen behandelten Fragen sind. Diese habe ich für das erste Heft ausgewählt, sodaß ich hoffen kann, daß schon das erste Heft den Eindruck machen wird, daß die Abtheilung für Recensionen nicht als eine nebensächliche Beigabe zur Zeitschrift betrachtet werden soll. Die weniger befriedigenden werde ich, soweit es geht, umarbeiten lassen: denn ich bin von vornherein der Ueberzeugung gewesen, daß auf die Recensionen besondres Gewicht gelegt werden muß, wenn nicht der Zeitschrift und der Sache selbst geschadet werden soll. Aber ich habe leider noch nicht allen Mitarbeitern deutlich machen können, daß auf die Abfassung der Recensionen derselbe Fleiß und dieselbe Energie verwendet werden müsse, wie auf andre Beiträge: unsre kritischen Blätter und Fachzeitschriften sind hier von üblem Einfluß.
Natürlich fühle ich mich Ihnen zum lebhaftesten Danke verpflichtet, wenn Sie sich auch dieser Abtheilung der Zeitschrift, der Sie ein so wohlwollendes Interesse – zu meiner großen Freude – entgegenbringen, eine fleißige Unterstützung zu Theil werden lassen, und ich bitte nicht nur um eine recht baldige Uebersendung der bereits angekündigten Recensionen (die Besprechung von Sievers im neuen Hefte der Zeitsch. f. Dtsch. Alterth.1 haben Sie wohl bemerkt), sondern hoffe, daß Sie unter den zur Besprechung in der Zeitsch. geeigneten Werken auch selbst wählen: ich werde Ihnen was ich an Büchern erlangen kann, die Sie zu besprechen wünschen, immer umgehend zugehen lassen. Wegen „Jung“2 und „Hašdeus Columna“3 hätte ich mich schon an Sie gewandt, wenn ich nicht gefürchtet hätte, sie allzusehr in Anspruch zu nehmen: die Columna VII habe ich einem |2| jungen Rumänen, der sich unter meinen Zuhörern befindet,4 anzuzeigen gebeten, und habe ihm zu diesem Zwecke das mir von Hašdeu gesandte Ex. Überlassen, – ich kann dies leicht rückgängig machen, und erbitte mir von Ihnen nur eine kurze Notiz darüber, ob Sie geneigt sind eine Anzeige der Col. für das 2. Heft d. Z. einzusenden: im ersten nämlich, das statt 8 wahrscheinlich 10 Bogen umfassen wird, dürfte kein Raum mehr sein, und das gesammte Manuscript ist bereits in der Druckerei. Ebenso würde ich Ihnen für eine Besprechung von Jungs Aufsätzen und Stuemers5 Arbeit (die ich noch nicht gesehen habe) im 2. Heft der Zeitsch. besten Dank wissen. „Jung“ haben Sie wohl selbst, Stuemer würde ich zu erhalten suchen.
Alle drei von Ihnen bezeichneten Werke halte ich zu sehr geeignet in der Zeitsch. besprochen zu werden, als daß ich nicht bedauern sollte, wenn darin nicht auf sie aufmerksam gemacht würde: daß der Begriff der romanischen Philologie in viel weitrer Ausdehnung in der Zeitschrift gefaßt werden soll als gewöhnlich, habe ich im Prospect anzudeuten gesucht, ich befinde mich daher ganz in Uebereinstimmung mit Ihrer Auffassung bez. jener Schriften und der Betrachtung der Grenzdisciplinen der Rom. Philo[lo]gie als Interna derselben.
Ihren Artikel in der Allg. Zeitg. über die Diezstiftung6 habe ich gelesen: dem dort ausgesprochnen Gedanken kann Niemand seine Zustimmung versagen, aber ich fürchte fast es ist der Sache dadurch Eintrag geschehn. Ueber den Gang der Dinge weiß ich Folgendes. Den Gedanken einer Diezstiftung habe ich bei Tobler im Sept. voriges Jahres angeregt. Er nahm denselben auf und theilte mir mit, daß er sich mit „erfahrneren" Leuten darüber besprechen werde. Im December erhielt ich den Entwurf des Aufrufs, der ohne wesentliche Aendrung (abgesehn von den Namen) im Druck vorliegt, es galt noch Unterschriften zu finden. Tobler hatte sich an Ebert7 gewandt, der Bedenken hegte (welche, ist mir unbekannt geblieben), an G. Paris und nach Italien geschrieben, um dort zu werben, hat aber lange Zeit keine Antwort von ersterem erhalten, ob von Italienischen Fachgenossen ist mir ebenfalls unbekannt, ich zweifle aber nicht, daß auch diese Kenntnis von dem Concept genommen haben. Hierauf erhielt ich vor 14. Tagen c. 25 Ex. des gedruckten Aufrufs per Kreuzband,8 ohne jedwede Zuschrift über die geplanten Wege für die Verbreitung der Sache, über das was |3| weiterhin in derselben bereits geschehn sei, welche Ansicht Mussafia, Bartsch, G. Paris, Ascoli etc., die nunmehr im Aufruf figuriren, geäußert etc. etc., kurz ich habe den Eindruck, daß T.9 allein alles selber gemacht hat, und finde mich in dieser Angelegenheit ganz aus dem Spiele. Die „erfahrneren“ Mitglieder der Academie mögen wohl Berathungen der Angelegenheit mit Andren nicht haben nöthig erscheinen lassen, – und wohl mögen Franzosen und Italiener Tobler uneingeschränkt zugestimmt haben, dafür bürgen einige ihrer Namen im Aufruf, keiner ist aber wahrscheinlich zu einem selbständigen Gedanken in der Sache erwärmt worden, weil sie Jedem ein fait accompli geschienen haben wird, wie mir, seit Kenntnißnahme des Concepts. Ich kann daher allerdings nur richtig finden, wenn Sie T.s, resp. der Berliner Vorgehn als ein einseitiges bezeichnen, wenn Sie den Horizont des Planes zu beschränkt finden, aber ich hätte gewünscht, daß Sie Ihrer Besprechung des Planes der Stiftung mehr die Form des Bedauerns und des Rathes als die einer Anklage gegeben hätten: im ersteren Falle würde wohl leicht eine Aendrung des Projectes erzielt worden sein, die, ich fürchte, jetzt nicht mehr möglich ist; die erstre Form will mir auch darum die richtiger gewählte erscheinen, weil Ihnen die Verhandlungen über die Angelegenheit unbekannt waren, und Sie annehmen konnten (bes. auf Grund der Andeutung in Toblers Brief an Sie, wonach auch ihm ein internationales Institut vorgeschwebt habe),10. daß T.s Bemühungen um die ideellere Fassung des Gedankens im Ausland oder Inland auf Widerstand gestoßen seien. Ich freilich kann darum nicht recht an solche Bemühungen glauben, weil mir der gegenwärtige Plan als ein fait accompli vorgelegt wurde, von einer Berathung über die Sache nicht eigentlich die Rede war, – und ich kann bei meinem bis dahin freundschaftlichen Verkehr mit Tobler nicht denken, daß ich kärglicher von ihm abgespeist wurde als Andre, – aber Sie durften sie immerhin voraussetzen, und hätten dadurch die Diezstiftung mit Ihrem so charmanten Artikel um einen Schritt vorwärts gebracht. Das ist es, was ich im Grunde des Herzens über die Diezstiftung, wie sie vorliegt, und über Ihren Artikel denke; auch in Betreff des letztren wünschten Sie eine offene Aeußrung, die ich Ihnen nicht vorenthalten mag.
Könnte ich nun irgend einen Einfluß auf die Diezstiftung nehmen, den ich abgesehn von der ersten Idee und den drei Orten, der Zinsverwendung des Capitals, von der der Aufruf spricht, zu aeußern nicht in der Lage war, so würde ich sofort für Ihren Gedanken ein Zusammenwirken |4| der 4 Academien herbeizuführen, eintreten, – so aber muß ich hoffen, daß Ihr Wort T. gewichtig genug scheint um von ihm berücksichtigt zu werden, und daß Sie selbst in Ihrem Briefe an ihn Ihre Ansicht ausgesprochen haben. Im Uebrigen wünsche ich der Diezstiftung in Jeder Form ein fröhliches Gedeihen.
Der Correcturabzug Ihrer Recension wird vielleicht erst in der 2. Woche des März fertig: da es sehr wünschenswerth ist, dass Sie selbst eine Correctur lesen, so möchte ich bitten mir Ihre veränderte Adresse anzugeben, wenn Sie nun diese und die nächstfolgende Zeit nicht in Graz sind.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
GGröber.
1 J. F. Kräuter, [Rez. von] „E. Sievers, Grundzüge der Lautphysiologie zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen“, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur N.F. 9 (21), Berlin 1877, 493-514 (1-22).
2 J. Jung, Römer und Romanen den Donauländern, Innsbruck 1877; tatsächlich rez. von Moses Gaster in der 2. Nummer der ZrP.
3 Schuchardt, [Rez. von:] „Columna luĭ Traĭan. Revista mensuala pentru istoriă, linguistica si psicologia poporana. Director: B. P. Hasdeu. Anul VII noua seria tom I.“, ZrP 1, 1877, 481–484. [Archiv-/Breviernummer: 094].
4 Moses Gaster (1856-1939) stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie Bukarests; er promovierte 1877 in Leipzig über die historische Phonetik des Rumänischen, hatte aber im Jahr zuvor auch am jüdischen theologischen Seminar in Breslau und an der dortigen Universität studiert.
5 Lesart nicht sicher; Name auch in Varianten nicht identifiziert.
6 Ab „Ihren Artikel...“ bis „...ein fröhliches Gedeihen.“ vgl. Storost, Hugo Schuchardt und die Gründungsphase der Diezstiftung, 1992, 11-13.
7 Adolf Ebert (1820-1890), 1862 erster ordentlicher Professor für roman. Sprachen und Literaturen in Leipzig.
8 Eine Kreuzbandsendung diente dem Verschicken von Drucksachen zu ermäßigtem Tarif ( Storost).
9 T = Adolf Tobler.