Friedrich Müller an Hugo Schuchardt (07-07577)

von Friedrich Müller

an Hugo Schuchardt

Wien

28. 09. 1895

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachen in Togolanguage Portugiesisch (Rangun)language Kaukasische Sprachenlanguage Baskisch Tschubinow, David Tsagareli, Alexander Kirste, Johann Schuchardt, Hugo (1895) Schuchardt, Hugo (1894) Schuchardt, Hugo (1895)

Zitiervorschlag: Friedrich Müller an Hugo Schuchardt (07-07577). Wien, 28. 09. 1895. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5756, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5756.


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Wien, 28. September 1895.

Geehrter Freund und Collega!

Ihren Brief sowie auch Ihre mir zugesandte Abhandlung1 habe ich richtig erhalten und sage Ihnen für die letztere meinen herzlichsten Dank. Ich habe sie mit großem Interesse gelesen und wünschte daß sie infolge auch wirken möge. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, sind die kaukasischen Sprachen der einzige Angriffspunkt, auf welchem sich dem Baskischen beikommen läßt. Wenn da nichts herauskommt, dann würde man |2| endgültig sagen müssen, daß beide Sprachen isolirt dastehen. Wie Sie wissen bin ich vor allem Sprachphilosoph und Ethnologe und dann in zweiter Linie Sprachforscher. – Ich nehme ein besonderes Interesse an der Verkopplung zweier Sprachstämme, die sich nur nach genauer Untersuchung als miteinander nicht verwandt herausgestellt haben. Ich glaube daß die Sprachbildung innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Menschen einer nicht gar entfernten Epoche angehört, einer Epoche |3| die eine völlige Differenzierung der Rassen und bedeutende Wanderungen verursacht. – Man wird daher nie und nimmer alle Sprachen unter einen Hut bringen.

Tschubinovs Grammatik2 besitze ich; ich glaube daß ich sie im Jahre 1872 von ihm selbst durch Tsagareli3 bekommen habe.

Ihre Abhandlung will ich sobald sie erschienen sein wird4 aufmerksam lesen; ich werde Ihnen für einen Separatdruck, der sich bequemer studiren läßt als der ganze Band, dankbar sein.

|4| Es freut mich, daß Sie die Ernennung Kirste’s5 sympathisch begrüßen. Dies macht Ihrem Charakter große Ehre. – Dagegen bin ich überzeugt und empfinde eine Art Schadenfreude darüber, daß ריאמ der الكذب وبأ („der Vater der Lügen“)6 vor Wuth schäumt.

Vgl. [?] den Passus auf S. 14: „wenn man Lehnwörtern formelle [?] Cultureinflüße nachweisen will“ reicht ein Hieb auf7 ? الكذب وبأ

Mir wenigstens kommt es so vor. Also noch einmal meinen besten Dank.

Mit herzlichem Gruß

Ihr ergebener

FMüller
III Marxergasse 24,a


1 Schuchardt, „Über den passiven Charakter des Transitivs in den kaukasischen Sprachen“, SB d. phil.-hist. Classe d. Kaiserl. Akad. d. Wiss. Wien 133, 1895, 1–91. Möglicherweise ist aber auch „Weltsprache“ und „Weltsprachen“ gemeint, vgl. den folgenden Brief.

2 Davit Č'ubinašvili / Chuvinashvili (1814-1891), georgischer Sprachwissenschaftler, Vf. einer Kratkaja gruzinskaja grammatika, St. Petersburg 1855.

3 Alexander von Zagareli (1844-1929), georgischer Sprachwissenschaftler.

4 Vielleicht Schuchardt, Über das Georgische, Wien 1895.

5 Johann Kirste (1851-1920), Orientalist, seit 1892 ao. Prof. in Graz, wurde dort 1895 zum tit. o. Prof. ernannt.

6 Müller transliteriert den Namen von Gustav Meyer hebräisch, offenbar um ihn für Nicht-Eingeweihte zu verschlüsseln. Jesus (Joh. 8,44) nennt den Teufel „Vater der Lüge“, arabisch abu al-kadab. Das Verhältnis von Meyer zu Schuchardt war 20 Jahre lang mehr als freundschaftlich, ging aber vollkommen in Brüche. Was der Anlass für die Verstimmung zwischen Müller und Meyer ist (außer der Angelegenheit Kirste), konnte nicht ermittelt werden.

7 Die Entzifferung dieses Textstücks macht große Mühe; unsere Lösung stellt nur einen Versuch dar, zumal der genaue Kontext nicht erschlossen werden konnte!

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07577)