Friedrich Müller an Hugo Schuchardt (06-07576)

von Friedrich Müller

an Hugo Schuchardt

Wien

18. 04. 1888

language Deutsch

Schlagwörter: Literaturhinweise / bibliographische Angabenlanguage Baskischlanguage Picardischlanguage Nilo-saharanische Sprachen Gerland, Georg Winkler, Heinrich Grillparzer, Franz Vinson, Julien Schuchardt, Hugo (1887) Schuchardt, Hugo (1888) Schuchardt, Hugo (1888) Winkler, Heinrich August (1887)

Zitiervorschlag: Friedrich Müller an Hugo Schuchardt (06-07576). Wien, 18. 04. 1888. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5755, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5755.


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Wien, 18. April 1888

Geehrter Herr College!

Ich freue mich sehr darüber, daß Sie in der Ihnen von mir angegebenen Richtung das Baskische einer näheren Betrachtung unterzogen haben.1 Ich glaube Jedermann wird Ihnen für genau transcribirte und mit Accenten versehene Texte sehr dankbar sein.

Meine sehr kurzen und aufs Gerathewohl veröffentlichten Angaben2 habe ich, wenn ich mich nicht irre (ich habe meine Notizen nicht zur |2| Hand) Andeutungen in einem Werke entnommen, die ich an einem Basken auf ihre Richtigkeit hin geprüft habe. – Um desto mehr freut es mich daß ich das Richtige getroffen habe.

Die Abhandlung Gerlands habe ich nicht gesehen; was kann aber auf 21 Seiten stehen, wo überdies neben der Sprache noch andere Dinge behandelt werden?3

Ein gutes baskisches Lexikon wäre freilich ein pium desiderium und ich hätte Ihnen auch vor Ihrer Reise diesen Herzenswunsch |3| mitgetheilt; aber das ist eine Arbeit welche das ganze Leben eines Gelehrten in Anspruch nimmt! –

Ihre Broschüre über Volapük4 habe ich gelesen. – Ich könnte Ihnen vieles über den von Ihnen berührten Punkt schreiben, aber eine gerade mir zugekommene Broschüre von H. Winkler Sprachliche Formung und Formlosigkeit (Separatabdruck aus seinem großen Werk)5 überhebt mich dieser Mühe. – Winkler ist einer von den Wenigen, die mich vollkommen verstehen. Gleich mir sieht Winkler den Satz als das reale Element der Sprache an. – Leider operiren die meisten Sprach- |4| forscher mit den Worten und bedenken nicht daß dies mehr oder weniger bloß Abstractionen oder besser gesagt unselbständige Elemente sind.

Puncto Bibliographie des Baskischen weiß ich nicht, wie Sie das anfangen wollen. Solange der „Hund beim Heu“ (so nannte wenn ich nicht irre der selige Grillparzer den „großen Birk“) sitzt,6 werden Sie kaum daran denken können. Übrigens habe ich das Wichtigste, was die Hofbibliothek besitzt, Vinson7 bereits mitgetheilt. In der Universitätsbibliothek dürfte kaum etwas vorhanden sein; am ehesten dürfte man etwas in jenen Bibliotheken finden, welche aus den aufgehobenen Klosterbibliotheken bereichert worden sind.

Mit den besten Grüßen Ihr

ganz ergebener

FMüller
III, Marxergasse 24, A


1 Schuchardt, „Romano-baskisches I“, ZrP 11, 1887, 474-512.

2 Müller, Allgemeine Ethnographie, 1873, 438-439.

3 Georg Gerland, „ Die Basken und die Iberer “, Grundriss der romanischen Philologie 1, 1888, 313-334; vgl. dazu Schuchardts Rez.LB f. germ. u. rom. Philol. 9, 1888, 225-234.

4 Schuchardt, Auf Anlass des Volapüks, Berlin 1888.

5 Heinrich Winkler (1848-1830), Finnougrist, Zur Sprachgeschichte: Nomen; Verb und Satz; Antikritik, Berlin 1887.

6 Franz Grillparzer, Selbstbiographie: „Inzwischen beschäftigte ich mich, ich hätte bald gesagt: eifrig, in der Hofbibliothek. Von Eifer war damals in dieser Anstalt überhaupt nicht viel zu bemerken. Die Beamten, beinahe durchaus gutmütige Leute, benahmen sich ungefähr wie die Invaliden in einem Zeughause, oder der Hund beim Heu, bewahrten das Vorhandene, wiesen die Seltenheiten den Besuchern vor, verwendeten die spärliche Dotation zum Ankauf aller gedenkbaren Auflagen der Klassiker und hielten die verbotenen, das heißt alle neuern Bücher, nach Möglichkeit fern. Von bibliothekarischen Systemalarbeiten war gar nicht die Rede“. – Ernst von Birk (1810-1891) war Hofbibliothekar in Wien.

7 Julien Vinson (1843-1926), Baskologe, vgl. Lfd.Nr. 05-07575. Vinson arbeitete in diesen Jahren bereits an seinem zu einem Klassiker gewordenen Essai d'une Bibliographie de la Langue Basque, in zwei Bänden 1891 und 1898 in Paris erschienen. Er trug dort alle verfügbare Information zu Veröffentlichungen zum Baskischen und über die Präsenz in den großen europäischen Bibliotheken zusammen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07576)