Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (288-162)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

02. 01. 1913

language Deutsch

Schlagwörter: Académie des inscriptions et belles-lettres Revue internationale des études basqueslanguage Baskischlanguage Nubische Sprachenlanguage Französisch Azkue y Aberasturi, Resurrección María de Uhlenbeck, Christian Cornelius Uhlenbeck, Wilhelmina Maria Paris, Gaston Meinhof, Karl Leizarraga, Joanes Linschmann, Th. Schuchardt, Hugo (1906) Schuchardt, Hugo (1912)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (288-162). Graz, 02. 01. 1913. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5713, abgerufen am 03. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5713.


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Graz 2.1.’13

Sehr geehrter Herr und Freund,

Obwohl ich wieder einmal und schon seit längerer Zeit mich auf der absteigenden Linie befinde, will ich doch Ihren liebenswürdigen Brief vom 19.,1 in der Reihenfolge der einzelnen Punkte beantworten.

Ich beglückwünsche Sie zu den Früchten die sie [sic] dem Boden von Les Aldudes abgerungen haben und noch abringen werden. Aber ist es denn so schwierig daraus ein Buch zu machen? Höchstens daß Ihnen die Schreibung der Mundart einige Bedenken erzeugen mag. Hoffentlich wird die Arbeit noch bei meinen Lebzeiten ans Licht treten.

Bei den Beispielen baskischer Synonymenreihen die Sie mir vorlegen, |2| läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Von denen für „agalla“ habe ich in meinem B. u. Rom. verschiedene zusammengestellt. Gibt es denn kein Mittel die Fortsetzung von Azkues Werk zu erzwingen?

Wegen afrikanischer Bibliotheksschätze brauchen Sie in meinem Interesse sich nicht zu beunruhigen; wir haben jetzt von Tag zu Tag etwas Neues aus dem „dunkeln“ Weltteil. In diesen Tagen erhielt ich die 4 Evangelien im Kunuzidialekt des Nubischen und habe das Evangelium des Markus gleich verschlungen.

Welche Operation Uhlenbeck durchgemacht hat, weiß ich nicht; ich habe mit seiner Frau ein paar Karten gewechselt; er befand sich zuletzt in Nimwegen als Re|3|konvaleszent, von dort schrieb auch er selbst mir einen Brief, am 9 Dez. Es ging ihm damals viel besser; die Nerven, scheint es, machten ihm zu schaffen. Seitdem habe ich nichts von ihm gehört.

Pintšilint kann m.E. keine allgemeine Bezeichnung für „Blume“ sein; es wird der Kindersprache angehören und wohl nur den hängenden Blüten gelten (vgl. südfranz. pinchourla usw. hängen, bearn. pindorles „Eiszapfen“ usw.).

Zum Bask. ~ Nub. bemerke ich daß die Zahlwörter oft, auch in verwandten Sprachen, ganz verschieden sind. Daß das Verb „sein“ in den Sprachen auch bei Verwandtschaft gewöhnlich nicht übereinstimmt ist leicht zu erklären. Übrigens bitte ich nicht zu vergessen daß ich |4| ja keine besondern Beziehungen des Bask. zum Nubischen annehme, sondern das Baskische bis jetzt nur als eine Sprache betrachte die vermutlich aus dem Kreise der nord- und nordostafrikanischen Sprachen hervorgegangen ist.

Wenn ich auch dem Alter nach der zweite unter den korr. Mitgliedern der Acad. d. I. et Bl. bin, so begründet das durchaus keinen weitern Anspruch; ich bin, dank der Freundschaft von G. Paris, verhältnismäßig früh jener Ehre teilhaft geworden. Und ich habe in meinem Alter nun mehr billets de louange bekommen als in meiner Kindheit, da ich bei Mme Dufresne französisch lesen lernte (in meinem 3ten oder 4ten Jahr; deutsch lesen lernte ich dann angeblich auf eigene Hand). Vielleicht ließe sich daraus ein Jubiläum konstruieren; meine erste Fühlung mit der französischen Sprache, die sich mir in einem Fischsteinstäbchen verkörperte.

|5| Wollen Sie mir gütigst angeben welche von meinen letzten Artikeln sie in einigen Exemplaren wünschen? Von einigen die sich aber nicht auf Baskisches beziehen, habe ich kaum noch ein paar vorrätig. Ich habe bei der Versendung solcher oder überhaupt aller besonders diejenigen Leute im Auge die Einwände machen könnten oder dazu geneigt sind. An SS. aus der Revue Basque habe ich aber noch genug.

Die Nachricht daß Meinhof ein Buch veröffentlicht habe in dem die Verwandtschaft des Baskischen mit gewissen afrikanischen Sprachen erwähnt wird, muß auf einem Irrtum beruhen. Wohl eine Verwechselung mit mir!

Ich danke Ihnen vielmals für die Übersendung des Détroyatschen Katalogs; vielleicht hätte ich noch einige Kleinigkeiten zur Vervollständigung meiner baskischen Bibliothek brauchen können. Aber was zum eigentlichen Sprachstudium gehört, habe ich alles. Außerdem sind die Sachen alle ziemlich teuer; billig habe ich nur unsern Leiçarraga gefunden – leider habe ich den schon.

|6| Dabei fällt mir ein daß mir Linschmann wieder geschrieben hat – nach Jahresfrist; sein Bibliothekarposten in Meiningen, den er hoffte mit einem bessern zu vertauschen, scheint ihn nicht einmal mit den litterarischen Hilfsmitteln zu versehen deren er bedarf.

Und nun meine herzlichen Neujahrswünsche! Hoffentlich zieht ihre Verspätung keine Unwirksamkeit nach sich.

Ihr sehr ergebener

H. Schuchardt

Ich bekomme gerade eine Aufforderung von dem Dict. nat. des contemporains mich zu autobiographieren. Ich antworte auf alle solche Ansuchen nicht; es würde mir zu viel Mühe machen, und diese Art mich mit mir selbst zu beschäftigen, ist mir höchst unsympathisch.


1 Gemeint ist Brief Nr. 286-06008 vom 15. Dezember 1912; Schuchardt dürfte Lacombes „15“ für „19“ gelesen haben.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fondo Lacombe (Euskaltzaindia). (Sig. 162)