Hugo Schuchardt an Friedrich Kluge (22-HSFK_06)

von Hugo Schuchardt

an Friedrich Kluge

Graz

19. 01. 1902

language Deutsch

Schlagwörter: Etymologie Sprachursprung Rajna, Pio

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Friedrich Kluge (22-HSFK_06). Graz, 19. 01. 1902. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5623, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5623.


|1||2|

[Graz, 19.1.02]1

V. K.

Es scheint nach dem von Ihnen Mitgeteilten dass der Meerschaum (der soviel ich weiss, auf deutschem Boden nicht vorkommt – etwa von Mähren abgesehen) mit andern ähnlichen Gesteinen verwechselt worden ist, mindestens mit zweien die aber selbst vielfach nicht auseinander gehalten werden. Das eine ist: Bergmilch, Mondmilch, Mehlkreide – so in Meyers K.-L.: creta farinosa, lac lunae, agaricus mineralis (Nemnich2 hat unter „Bergmilch“ a) creta farinosa, b) gyprum farinosum – aber Beides ist doch wohl dasselbe) = (bei Sachs) agaric minéral, craie coulante, lait de lune fossile; unter Bergmehl = Mehlkreise hat Sachs „farine fossile“, wie Nemnich den „gyprum farinosum“ gleichsetzt „farina fossilis“ = Mehlgyps, gypsartige Bergmilch. – Das andere ist der Milchstein, galactites, moroclithus (doch das letzte Wort hat nach Nemnich auch die Bed. „Mondmilch“, Dioscorides περὶ ὕλης ἰατρικῆς V, cxlix handelt Περὶ γαλακτίτου λίθου und cli περὶ μορόχθου λίθου, der auch γαλαξία und λευκογραφίδα heiße. Nach dem Kommentar Sprengels3 ist jenes der z.B. bei Goslar gefundene Milchstein, dieses der Speckstein; Sp. fügt aber hinzu dass Andere unter dem letzteren den lac lunae verstehen. Sie sehen die Verwirrung ist gross. Die Mondmilch ist sehr interessant, man könnte auch hier wieder nachforschen von wo und wann diese Bez. stammt, aber ich glaube nicht dass diese andern Gesteine je mit dem Namen Meerschaum bezeichnet worden sind, der dann auf das heute so genannte Mineral übertragen worden wäre. Das ital. spuma di mare aus dem 16. spricht dagegen. Übrigens haben Sie vielleicht in Freiburg Michelangelo Florio Übers. von Agricola (Basileae! 1563)4 zur Hand; ich habe inzwischen P. Rajna5 gebeten die Stelle nachzusehen.

Herzl. gr. Ihr
HSch.


1 Original Freiburg, UB NL 25/260, Nr. 6.

2 Philipp Andreas Nemnich, Allgemeines Polyglotten-Lexikon der Naturgeschichte mit erklärenden Anmerkungen, Leipzig 1793f.

3 Kurt  (Curt) Polykarp Joachim Sprengel (1766-1833), deutscher Botaniker.

4 Opera di Giorgio Agricola de l’arte de metalli partita in XII. libri. Aggiungesi il libro del medesimo autore, che tratta degl’Animali di sottoterra, da lui stesso corretto, et riveduto, In Basilea: per Hieronimo Frobenio et Nicolao Episcopio, 1563.

5 Pio Rajna (1847-1930), ital. Romanist.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universitäts-Bibliothek Freiburg i.Br. (NL 25/260). (Sig. HSFK_06)