Hugo Schuchardt an Friedrich Kluge (20-HSFK_05)

von Hugo Schuchardt

an Friedrich Kluge

Graz

20. 01. 1901

language Deutsch

Schlagwörter: Fachsprachen Forschungsvorhaben Reflexion über Forschunglanguage Nilo-saharanische Sprachenlanguage Spanische Dialekte (Asturien)language Sanskrit Bréal, Michel Schuchardt, Hugo (1899) Schuchardt, Hugo (1899) Schuchardt, Hugo (1888) Kluge, Friedrich (2011) Schuchardt, Hugo (1901)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Friedrich Kluge (20-HSFK_05). Graz, 20. 01. 1901. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5621, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5621.


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Graz, 20 Jänner 19011

Verehrter Herr Kollege,

Anbei zwei Minima;2 hoffentlich spielen Sie ihnen gegenüber nicht den Praetor.

Zu  Beginn Ihres Vortrags über Geheimsprachen3 sagen Sie: „In der That muss es die letzte Aufgabe der Sprachwissenschaft sein … vermag“. Die meisten Sprachforscher werden wohl gegen die Einbeziehung des Könnens in die Definition der Wissenschaft Einsprache erheben; Ihre Auffassung ist mir wenigstens sympathisch, sie berührt sich mit gewissen volapükistischen Äusserungen die ich früher gethan habe.4

Also ein grosses deutsches Wörterbuch soll ins Leben treten, |2| ehe noch das Grimmsche fertig ist?5 Aber doch nicht nach dem Muster des dabei angerufenen latein. Thesaurus? Was M. Bréal über diesen im Journal des Savants sagt,6 scheint mir beachtenswerth; er sei gleichsam wie ein grosser Grundkataster der in seltenen schwierigen Fällen eingesehen würde – um im weiterem Sinn Nutzen zu stiften, müsste er zu gleicher Zeit in stark verjüngtem Massstab erscheinen.7

Meine längere Notiz über Warkloff an die Stelle der kürzeren zu setzen8 haben Sie doch noch Zeit gefunden? Wenn ich über Fischereisprache etwas in Druck bringe, so werde ich Ihnen das schon in den Korrekturen mittheilen.

Mit bestem Gruss

Ihr

HSch


1 Original Freiburg i.Br., UB NL 25/260, Nr. 5.

2 Vermutlich – wegen der Kürze – : „A } ac“, ZrP 23, 189, 334 und „Gen. cors. camallu ,Lastträger‘ (camallâ ,tragen‘)“, ebd.

3 Kluge, „Deutsche Geheimsprache“, Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins 16, Januar-Februar 1901, col. 6-12, 33-38.

4 Schuchardt, Auf Anlass des Volapük, Berlin 1888.

5 Es kann hier nur Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (1883 u.ö.) gemeint sein, von dem Gerhard W. Baur in seinem NDB-Artikel schreibt: „Die verschiedenen Auflagen zeigen deutlich wechselnde Ziele und bleibende Eigenart seiner Arbeit: Von der zunächst atomistischen Betrachtung einzelner Laute und Formen aufgrund der von den „Junggrammatikern“ postulierten „Lautgesetze“ ausgehend, wendet er sich immer mehr Fragen der Wortverwandtschaft, der Wortbildung und der Wortgeschichte zu, bezieht – bahnbrechend – Standes- und Sondersprachen ein. Mut zu neuen Deutungen verbindet sich mit Vorsicht vor gewagten Hypothesen. Aus einer breiten Kenntnis der indoeuropäischen Sprachen heraus wird in knapper, klarer Darstellung des Wesentlichen der deutsche Wortschatz in seiner Bedeutung und geschichtlichen Herkunft und Wandlung aufzuhellen unternommen: Sprachgeschichte als Kulturgeschichte, als Geschichte von Sachen und Ideen, zunehmend auch das Bestreben – sehr patriotisch und oft pathetisch –, Geschichte der deutschen Nation im Spiegel ihrer Sprache zu verdeutlichen“.

6 Journal des Savants, Juin 1901, 337-346 : „On y distingue quelques caractères de l’Allemagne contemporaine: le désir de surpasser tout ce qui a été fait jusqu’à présent, l’habitude d’opérer au moyen d’une légion de travailleurs sévèrement embrigadés, le souci de l’effet général que le soin du détail“ (345-346).

7 Ich finde eine derartige Bemerkung nicht in Bréals Text.

8 Schuchardt, „Wolf , 1. ,Garnreuse‘; 2. ,Lehre‘ (Seilerspr.)“, ZfdW 2, 1902, 82–84. Werluff, Wadluff, Warkluff, Wartholf, Wartolf usw. seien süddt. Bezeichungen für ein Zugnetz.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universitäts-Bibliothek Freiburg i.Br. (NL 25/260). (Sig. HSFK_05)