Matthias Friedwagner an Hugo Schuchardt (15-03164)

von Matthias Friedwagner

an Hugo Schuchardt

Frankfurt am Main

03. 11. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Reflexion über Forschung Reflexion über das Publizieren Lebenswerk Mussafia, Adolf Schuchardt, Hugo (1916)

Zitiervorschlag: Matthias Friedwagner an Hugo Schuchardt (15-03164). Frankfurt am Main, 03. 11. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5583, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5583.


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Frankfurt a.M. 3. Nov. 1916
Krögerstr. 2

Hochverehrter Herr Hofrat!

Aus Oesterreich zurückkehrend, erwartete mich hier das Dekanat mit seinen kleinen, aber zahlreichen Verwaltungsgeschäften, die mich bisher verhinderten, Ihnen meinen ganz ergebenen, aufrichtigen Dank zu sagen für die gütige, mich sehr ehrende und unverdiente Zusendung Ihres Verzeichnisses der verfaßten Druckschriften.1 Mit steigender Bewunderung und wachsendem Erstaunen liest man die Titel Ihrer Arbeiten und fragt sich, ob ein Einzelner das alles in der begrenzten Zeit des |2| menschlichen Lebens hat leisten können, oder ob es ein Sammelwerk aller Sprachforscher und Philologen der Welt sei. Schon die bloße Erlernung sovieler, ganz unverwandter Sprachen und bis zu einem Grade, der zu ihrem literarischen Gebrauche befähigt, grenzt ans Wunderbare, wenn man bedenkt, daß selten ein Mensch in éiner Sprache, die ihm nicht Muttersprache ist, sich tadellos und erträglich sich auszudrücken vermag!

|3| Schon als Student hatte ich Mussafia, dessen eigenes Selbstbewußtsein doch kaum überboten werden konnte, in Worten der Anerkennung Ihren Namen nennen gehört. Dann las ich selbst manches, soweit ich es verstand. Viel weiter bin ich ja leider nie gekommen! Es tut sich etwas wie eine Wunderwelt vor mir auf und ich empfinde nur Staunen, in das nicht einmal der Neid gemischt ist. Und diese bessere Form des Beneidens um Fähigkeit oder Kenntnis wäre ja an sich nicht beschämend wie etwa |4| die schlimmere des niederen, entehrenden Neides, den bedeutende Forscher nicht verleugnen konnten, wenn das Glück einmal eines Vergessenen sich erinnerte.

So wünsche ich denn neidlos und aufrichtig, Herr Hofrat möchten nach einer solchen Fülle von noch immer neuen Arbeiten und Erfolgen sich noch recht viele Jahre einer guten Gesundheit erfreuen und in der bewundernden Dankbarkeit ihrer Zeitgenossen einigen Lohn ihrer Bemühungen sehen!

Verehrungsvoll
M. Friedwagner


1 Verzeichnis der Druckschriften von Hugo Schuchardt, Graz 1916. [Schuchardt-Werk Nr. 688]

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03164)