Arturo Farinelli an Hugo Schuchardt (106-02980)
von Arturo Farinelli
an Hugo Schuchardt
05. 11. 1917
Deutsch
Schlagwörter: Erster Weltkrieg Universität Zürich Schuchardt, Hugo (1915)
Zitiervorschlag: Arturo Farinelli an Hugo Schuchardt (106-02980). Zürich, 05. 11. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5543, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5543.
Zürich, Hotel Pelikan, den 5 XI 19171
Mein lieber & hochverehrter Freund!
Ich bin wieder in Zürich2, und plötzlich, nach den letzten Ereignissen, abgesperrt von allen Seiten und meiner tiefen Trauer unüberwindlich ergeben. Prof Bodmer3 überreicht mir Ihre Karte, die erst nach Aufhebung der alten Grenzsperre hier gelangen konnte, und ich lese sie mit Wehmut. Hatte ich Sie doch in diesen tragischen Zeiten immer lebendig & in ihrer ganzen Geistes- und Seelengrösse vor mir! An meiner Treue hätten Sie, vor und nach Ihren Herzensergiessungen eines Romanisten4 nie |2| zweifeln dürfen. Wirklich wollte ich im Jahre 1915 meine Kräfte sammeln und ein Bild von Ihnen entwerfen. Der unselige Krieg hat alles vereitelt und vernichtet.
Ganz gebrochen im Schatten von mir selbst und mit dem Tod im Herzen werde ich nach meiner Heimat zurückfahren. Die Thätigkeit, die ich letzthin entwickelte (ein Werk über Michelangelo und Dante, liegt unter der Presse5), mein ganzes Lebenswerk, war ja umsonst!
Ich grüsse Sie innig & herzlichst! Vielleicht können Sie mir |1| noch eine Karte nach Zürich ( Hotel Pelikan) senden
Ihr treu ergebener
Art. Farinelli
1 Italien hatte am 23.5.1915 den Dreibund verlassen und war auf Seiten der Entente in den Weltkrieg eingetreten. Damit wurde auch der Postverkehr zwischen Italien und Österreich wie Deutschland unterbrochen. – Möglicherweise hielt Farinelli auf Einladung des Lesezirkels Hottingen einen Vortrag, wo er bereits 1905 gesprochen hatte. – Im Hinblick auf die österreichische Zensur (s. den Stempel der K. u. K. Zensurstelle Feldkirch auf der Vorderseite der Karte) schreibt Farinelli auf Deutsch.
2 Farinelli hatte zunächst am Polytechnikum in Zürich und später Romanistik und Germanistik an der Universität studiert ( Episodi di una vita , 1946, 74f.): „A dare solido sostegno alle mie conoscenze nessun maestro contribuì più validamente di Heinrich Morf. Da lui veniva il freno salutare ai miei voli deliranti nel fantastico; da lui il limpido discernimento nel groviglio delle vicende storiche delle letterature romanze, l’amore per la linguistica, come scienza di sviluppo spirituale, non come grammatica di parole; da lui il vigile scrutare e ponderare, succeduto al mio impetuoso abbandono all’irriflesso e istintivo, e il giudizio, scevro di passionalità, poggiato nel concreto, non nel vaporoso ed evanescente“ (76).
3 Hans Bodmer (1863-1948), Lehrer an der Gewerbeschule Zürich, Präsident des Lesezirkels Hottingen, den er 1900-1933 im Hauptamt präsidierte.
4 Schuchardt, Aus dem Herzen eines Romanisten, Graz 1915.
5 Farinelli, Michelangelo e Dante e altri brevi saggi. La natura nel pensiero e nell’arte di Leonardo da Vinci , Turin 1918.