Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (256-146)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

10. 06. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: Phonogrammarchiv (Wien) Literarisches Zentralblatt für Deutschlandlanguage Baskischlanguage Kaukasische Sprachen Meillet, Antoine Nyrop, Kristoffer Brunot, Ferdinand Dirr, Adolf Winkler, Heinrich Uhlenbeck, Christian Cornelius Urquijo Ybarra, Julio de Paris Wien Schuchardt, Hugo (1911)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (256-146). Graz, 10. 06. 1912. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5421, abgerufen am 24. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5421.


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Graz 10.6.’12

Sehr geehrter Herr und Freund,

Besten Dank für die guten Nachrichten die Sie mir vor Kurzem zukommen ließen. Meillets Rat wegen des Sprachatlas verdient sehr beherzigt zu werden. Aber man könnte gleich von Anfang an die Grenzen etwas weiter nehmen: mindestens Labourd und Niedernavarra zusammen.

Denken Sie auch an Phonogramm-aufnahmen! Sie haben ja in Paris ein vortreffliches Ph.-archiv; Nyrop schickte mir |2| kürzlich einen Kopenhagener Zeitungsartikel in dem er darüber berichtet. Ich besuchte vor ein paar Tagen das Wiener Phonogramm-archiv (das sich auch Brunot angehört hatte); es kam mir vor allem darauf an kaukasische Texte (von A. Dirr aufgenommen) zu hören, aber die meisten Platten waren nicht sehr gelungen; einige aber doch ausgezeichnet. Angesichts der Azkueschen Auffassung des baskischen Akzentes sind gerade für das Baskische solche Aufnahmen dringend erwünscht.

Bei jener Gelegenheit machte ich die unerwartete Bekanntschaft eines jungen Kavirondonegers, der eine der Sprachen (der |3| südnilotischen, in der Nachbarschaft der Victoria Nyanza) spricht mit denen ich mich in der letzten Zeit lebhaft beschäftigt hatte. Ich sende Ihnen ein Dokument dieser Beschäftigung (dem ich eben das Imprimatur erteilt habe), weil in einer Zeile ein baskisches Wort zitiert ist – Sie sammeln ja auch meine Scripta minimissima, wenn nur bask. darin vorkommt. Der Rest kann Sie nicht interessieren; auf gewisse allgemeinen Auslassungen, die darin enthalten sind, werde ich in andern Arbeiten zurückkommen. Eben habe ich übrigens eine gründliche Umarbeitung von Cose e parole an den Anthropos abgesandt.

|4| Mit der letzten Nummer des Lit. Zentralblattes erhielt ich ein Flugblatt von H. Winkler gegen Uhlenbeck. Sie kennen es natürlich; wo aber hat Uhlenbeck seine neue Besprechung von W.’s Arbeit veröffentlicht? Mir hat er sie nicht zugeschickt. Winkler hat mir zwar anscheinend nichts übel genommen; er muß aber doch sehen, daß ich im Wesentlichen mit U. übereinstimme. Und gegen diesen ist er so aufgebracht, mir aber schreibt er „in alter Verehrung“? Es gefällt mir nicht daß er von der „durchschlagenden Wirkung“ seiner Broschüre spricht; sind denn das halbe Hundert von Stimmen auf die er sich beruft, wirklich berechtigt sich vernehmen zu lassen? Ebensowenig liebe ich (für Andere wie für mich) das Hinweisen auf „ungelegte Eier“. Was die Zusam|5|mengehörigkeit des Nord- und Südkaukasischen anlangt, so ist ja doch Entscheidendes darüber schon gesagt worden. Auf die tiefeingreifenden und bedeutungsvollen Übereinstimmungen zwischen Bask. u. Kaukasisch bin ich sehr neugierig. Die wesentlichste ist jedenfalls die Gemeinschaftlichkeit in bezug auf das passivische Transitiv; die ist aber längst hervorgehoben worden. – Kurz, ich bedauere sehr (und habe stets bedauert) W. s Bramarbaston, selbst da wo er Recht hat; was die Sache anlangt, nun: qui vivra verra.

Was sind das für Bulletins oder Comptes-rendus der drei baskischen Assoziationen zu Paris, wo „alle Mundarten vertreten sind“? Kann ich – gelegentlich! – eine Probe davon bekommen?

|6| Ich war nur zwei und einen halb Tag in Wien; ich kann mich nicht auf lange von meinen tausend knospenden und blühenden Rosen, meinen Weigelia amabilis, meinen Erdbeerbeeten trennen.

Mit herzlichem Gruß

Ihr erg.

H. Schuchardt

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fondo Lacombe (Euskaltzaindia). (Sig. 146)