Hugo Schuchardt an Theodor Mommsen (01-HS_TM_s.n.)
von Hugo Schuchardt
18. 03. 1868
Deutsch
Schlagwörter: Dialekte Bittschreiben Rom Schuchardt, Hugo (1866)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Theodor Mommsen (01-HS_TM_s.n.). Rom, 18. 03. 1868. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5300, abgerufen am 07. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5300.
Rom d. 18. März 1868.
Hochverehrter Herr!
Sie werden verzeihen, wenn ein Ihnen persönlich Unbekannter Sie mit seinen Angelegenheiten behelligt und sich von Ihnen nicht nur Auskünfte, sondern vorkommenden Falles Begünstigung zu erbitten wagt.
Mein Vater suchte im vorigen Jahre (Frühling) beim Kultusministerium für mich, der ich nach der Schweiz abgereist war, um Verleihung des italienischen Stipendiums nach, indem er meine Doktordissertation, mein Doktordiplom und mein Buch („über den Vokalismus des Vulgärlateins“)1 beilegte. Vielleicht versah2 er es in irgend einer – doch sicher nur nebensächlichen – Förmlichkeit; denn es wurde ihm die Antwort zu Theil, daß dem Kultusministerium für die in seinem |2| Schreiben angedeuteten Zwecke keine Fonds zur Verfügung ständen. Ich ließ hierauf die Sache ruhen, weil ich in Italien selbst die Mittel zu finden hoffte, meinen Aufenthalt daselbst in der Weise zu verlängern, daß ich wirklich Früchte daraus ziehen könnte. Seit 2 ½ Monaten befinde ich mich nun in Rom; mein Vater hat mir geschrieben, daß er mich nicht länger unterstützen könnte, und trotz allen möglichen Versuchen ist es mir bis jetzt nicht gelungen, eine günstige Aussicht für mich zu entdecken.3
Ich wende mich in dieser Verlegenheit an Ew. Hochwohlgeboren. Die Bedingungen, die für die Bewerbung um das Stipendium erforderlich sind, kenne ich allerdings nicht genau, doch war der gewisse Zeitraum nach Ablegung des Examens, wenigstens damals, als mein Vater das Gesuch einreichte, noch nicht verstrichen. Kann ich dieses Gesuch nun noch erneuern? Persönliche Empfehlungen – wenigstens nachdrückliche – kann ich leider nicht beibringen; da ich mir |3| auf mir unbegreifliche Weise die Ungunst eines unserer bedeutendsten Philologen, an den ich mich anzuschließen versuchte, zugezogen habe.4 Ob mein Buch mir zur Empfehlung dienen wird, darüber muß ich natürlich zweifelhaft sein, doch wird es wenigstens für meinen wissenschaftlichen Eifer und meine Ausdauer Zeugniß ablegen.
Wird Ihre Güte so weit gehen, mir gelegentlich eine Antwort – nach der sich vielleicht meine Lebenspläne modifiziren werden – zukommen zu lassen?5
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ew. Hochgeboren
ergebenster
Dr. Hugo Schuchardt
Archäolog. Institut6
1 Der Vocalismus des Vulgärlateins, Leipzig 1866.
2 Hier in der älteren Bedeutung „einen Fehler machen“ oder „etwas zu tun versäumen“.
3 Diese Aussage steht in gewissem Widerspruch zu einem Brief Schuchardts an Diez (Ariccia, 20.7.1868), wo es heißt, dass der Vater ihn aufgefordert habe, nach Hause zurückzukehren, um sich möglichst bald zu habilitieren (HSA, Lfd.Nr. 08-t00862923_4).
4 Vermutlich ist der Bonner Klassische Philologe Friedrich Wilhelm Ritschl (1806-1876) gemeint; s.u. dessen Brief an Schuchardt vom 19.3.1866 (HSA, Lfd.Nr. 2-9670).
5 Wenn Mommsen geantwortet hat, ist diese Antwort nicht erhalten; auch wissen wir nicht, ob Schuchardt ein Stipendium erhalten hat.
6 Mommsen gehörte seit 1859 der Zentraldikreiton des Instituts an und hatte dort großen Einfluss
Faksimiles: Die Verwendung der Abschrift des vorliegenden Materials im „Hugo Schuchardt Archiv“ wurde von der Staatsbibliothek zu Berlin gestattet. Eine Vervielfältigung durch Dritte ist nicht erlaubt. (Sig. HS_TM_s.n.)