Hugo Schuchardt an Henri Gaidoz (074-SG13)
von Hugo Schuchardt
an Henri Gaidoz
28. 01. 1896
Deutsch
Schlagwörter: Budapesti Hírlap
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Henri Gaidoz (074-SG13). Gotha, 28. 01. 1896. Hrsg. von Magdalena Rattey (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5229, abgerufen am 08. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5229.
Gotha, Siebleberstr. 33.
28. Jänner 96
Hochgeehrter Herr und Freund,
Jene Vorschrift für die Civilbeamten von Elsass-Lothringen, auf die Sie sich bezogen, habe ich trotz verschiedenartiger Bemühungen noch nicht zu Gesicht bekommen können, und bis das geschehen sein wird, will ich die Sache nicht für abgethan erachten. Inzwischen muss ich Ihnen doch mittheilen dass ein mir befreundeter Rath im hiesigen Ministerium die reichsländischen Verordnungen eingesehen und Nichts bezügliches gefunden hat, und dass eine eben eingetroffene Korrespondenzkarte aus Strassburg schon desshalb die Sache in Frage stellt, weil sich die Wirkungen einer solchen |3| Vorschrift doch der Oeffentlichkeit nicht entziehen könnten. Man denke aber nicht daran, Louis in Ludwig umzuändern oder Stifvatèr, Kablé, Guerber u.s.w. zu regermanisiren.1 Sie werden aber zugeben dass wir einer grossen Versuchung widerstehen wenn wir die für uns lächerlichen Akzente belassen. Ich selbst habe z.B. den Namen des bekannten Pfarrers Guerber in den Zeitungen immer nur so geschrieben gefunden. Wir sind übrigens auch mit den Namen der seit Jahrhunderten unter uns wohnenden französischen Familien viel toleranter verfahren als die Franzosen mit denen der deutschen; es ist uns nicht eingefallen Düboa für Dubois u.s.w. zu schreiben. |4| Was mich betrifft, so wird Sie vielleicht der Satz über meine Unparteilichkeit beruhigen den ich einem für eine magyarische Zeitschrift bestimmten Artikel2 eingefügt habe:
"Wenn ich in Erfahrung bringen sollte dass man im Elsass gegen französische oder in Posen gegen polnische Taufnamen einen gleichen gesetzmässigen Krieg führte, so würde ich ebenso von deutschem Chauvinismus reden, wie ich jetzt von magyarischem rede."
Es ist jetzt in Paris ein Buch erschienen, bei Léon Challey, von Raoul Chélard, La Hongrie millénaire3 das ich im Budapesti Hírlap4 aus|5|führlich besprochen sehe. Er nimmt die Magyaren gegen die Nichtmagyaren in Schutz; man hätte 1868 in der ersten Hitze ein Nationalitätengesetz geschafften das man nicht zur buchstäblichen Ausführung bringen könnte, weil sonst ein Babel entstünde. Der Gedanke dass das Einzige was dann zu thun sein würde, die Aufhebung dieses Nationalitätengesetzes wäre, scheint dem Verfasser nicht gekommen zu sein. Schauen Sie sich doch das Buch an, und korrigieren Sie die Prinzipien des Verfassers!
Erfreuen Sie mich bald wieder einmal mit einem Briefe. Ich bin seit Weihnachten hier bei meiner Mutter, die schwer erkrankt war, der es jetzt aber etwas besser geht. Hoffentlich brauche ich nur noch kurze Zeit hier zu bleiben.
Mit herzlichem Gruss
Ihr
Hugo Schuchardt
1 Dies schrieb Gustav Gröber Hugo Schuchardt in einer Korrespondenzkarte (Bibl. Nr. 04087) vom 26. Jänner 1898 aus Straßburg.
2 Möglicherweise ist die Referenz dazu Schuchardt, Hugo. 1896. 'A keresztnevek 'fordítása''. In Magyar Nyelvőr 25: 97-107. [Archiv-/Breviernummer: 302]. Dieser Artikel schließt sich an Schuchardts Sind unserer Personennamen übersetzbar? [Archiv-/Breviernummer: 290] an.
3 Chélard, Raoul. 1896. L’Autriche-Hongrie. II. La Hongrie millénaire. Paris: L. Chailley.
4 Budapesti Hírlap (ungar. hírlap dt. ‚Tageszeitung‘) war eine unabhänige, nationalistisch ausgerichtete, ungarische Tagszeitung, die von 1881-1938 in Budapest erschien. (Vgl. z.B. Tezla 1970: 704; Buzinkay 2006: 1959f.). Vgl. die ausführlichere Anmerkung zum Brief vom 31. Dezember 1898 (096-SG22).
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fondo Lacombe (Euskaltzaindia). (Sig. SG13)