Wilhelm Hein an Hugo Schuchardt (16-04519)

von Wilhelm Hein

an Hugo Schuchardt

Floridsdorf

26. 08. 1901

language Deutsch

Schlagwörter: Reisen 32. General-Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft in Metz 1901 Kontaktvermittlung Fischfang Korrespondenzbeilagen Sachwortforschung Ethnologie, Anthropologie, Volkskunde Fischereigeräte Netze Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien Anthropologische Gesellschaft in Wien Naturhistorisches Hofmuseum Heitzenberger, Anton Ziskal, Johann Sant'Agata sui Due Golfi Wolf, Michaela (1993) Schuchardt, Hugo (1906)

Zitiervorschlag: Wilhelm Hein an Hugo Schuchardt (16-04519). Floridsdorf, 26. 08. 1901. Hrsg. von Elisabeth Egger und Susanne Oberpeilsteiner (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5165, abgerufen am 20. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5165.

Printedition: Egger, Elisabeth; Oberpeilsteiner, Susanne (2016): "Ich werde mir erlauben, Ihnen am Montag, den 5. d. M., um 10 Uhr Vormittags mit meiner Frau einen Besuch zu machen und Ihnen dann die Pariser Sichel zu überreichen". Die Korrespondenz von Wilhelm und Marie Hein mit Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 85., S. 57-130.


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Floridsdorf, 26.August 1901.

Hochverehrter Herr Hofrath!

Vor Allem sage ich Ihnen für Ihre freundliche Ansichtskarte vom Posilippo aus Sant’Agata1 den herzlichsten Dank. Sie hat mich außerordentlich gefreut, da sie mir zeigte, wie Sie auch in der Ferne meiner gedenken. Da ich gleich nach Erhalt der Karte nach Metz zur Anthropologen-Versammlung2 fuhr, so komme ich erst heute dazu, Ihnen zu schreiben.

Im Winter hatte ich nach Spitz an der Donau geschrieben (an den Gasthofbesitzer Anton Heitzenberger)3 um Nachricht über das dortige Fischwesen. Als Antwort erhielt ich beiliegende Postkarte,4 die ich Ihnen übermittle. Sie wird Ihnen kaum etwas neues bieten.

Heute sprach ich lange mit Herrn Johann Ziskal5, der bei uns im Hofmuseum als Saaldiener angestellt ist, über das Fischereiwesen in seiner Heimat, d. i. das Dorf Milotitz,6 Gemeinde Bacowitz (es gibt nicht weit davon in einer anderen Gemeinde noch ein Milotitz), bei Pilgram in Böhmen, wo ich vor zwei Jahren in dem dortigen Fischteich herumschwamm. Es war aber sehr schlammig dort!

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Ziskal sagte mir nun, dass es zweierlei Teiche gebe; in den einen setze man einige alte Karpfen als "plemenice", Fortpflanzungsthiere. Das Wort plemenice gebraucht man auch für Kühe, Schweine, kurz für alles Hausgethier, von dem man Junge haben will. Von diesen sagt man: die lassen wir für "plemeno" (Nachkommenschaft). Nach 2-3 Jahren wird der Teich abgelassen bis zu einer geringen Tiefe, so dass man in ihm herumwaten kann, und man fängt nur die größeren Fische heraus; die kleineren läßt man drinnen. Das geschieht zeitlich im Frühjahr. Die 2 bis mehrjährigen Fische kommen nun in einen zweiten, sehr schlammigen Teich, wo sie viel Nahrung finden. Dort werden sie rasch groß und feist. Im Spätherbst werden sie dann herausgefischt und theils zum eigenen Hausbedarf verwendet, theils "schock"weise (zu 60 Stück) verkauft.

Früher hatte die Dorfschaft Milotitz einen eigenen Dorfteich, aus welchem alljährlich die Fische unter die Dorfinsassen als gemeinschaftliches Eigentum vertheilt wurden. Durch den Bau der neuen Straße, den ich selbst zu meinem Leidwesen sehen mußte, wurde der Dorf-Fischteich zum Theile verschüttet. So bringt die allmählich andringende Cultur altes Leben zum Tode!

In Milotitz nun wurden und werden die Fische mit einem Netze gefangen, das aus einem gebogenen Stück Holz (ABC der Zeichnung) und einem quergespannten Strick (ADC) besteht, an welchen das Maschennetz befestigt ist.

Vorderansicht [Zeichnung]

Seitenansicht [Zeichnung]

Die Spannweite A D C beträgt ± 1 meter. Bei A und C wird das Netz von einer oder zwei Personen mit den Händen gehalten.

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Das ganze Netz heißt "otmontka" (etwas gebogenes). Für "otmontka" sagt man auch "sak". Das Wort "Sak" wird nur für Fischnetze gebraucht. Wenn man flucht und nicht Sakerment oder Sakramenty sagen will, so sagt man "sak na ryby", vermutlich weil diese Redensart auch mit "sak" anfängt.

Sack in unserem Sinne ist "pytel"; einen dummen Menschen bezeichnet man als pytlik, kleinen Sack.

Hosen-(Kleider-)sack ist Kapsa.

Herr Ziskal sah auch ein Netz, das aus einem Eisenreif A B C D bestand, der eine Menge Löcher hatte, durch welche die Schnur der Netzmaschen gezogen waren. Als Handhabe dient ein Holzstock.

[Zeichnung] Diese Netzform heißt auch "otmontka" oder "sak".

Vielleicht können Sie mit diesen Mittheilungen, wenigstens in sprachlicher Hinsicht etwas anfangen.

Mit den besten Wünschen für Ihr leibliches Wolergehen [sic] und mit der innigsten Bitte, die Resultate Ihrer Fischereistudien in unseren "Mittheilungen" niederzulegen,7 verbleibe ich Ihr hochachtungsvoll
treuergebener
W. Hein

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[Beigelegte Korrespondenzkarte von Anton Heitzenberger an Wilhelm Hein; Spitz an der Donau,08.04.1901]

Euer Wohlgeborn!

Ihren [sic] Wunsche gemäß sende Ihnen hiemit die 2 Bestandtheile mit denen hier gefischt wird, und führen den Namen Taubel.8

[Zeichnung]

Hochachtend

Ant. Heitzenberger
Spitz am 8/IV. 1901

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1  Hugo Schuchardt unternahm 1901 eine mehrmonatige Italienreise und hielt sich im Juli und August in Sant’Agata sui Due Golfi in der Nähe von Neapel auf (Wolf 1993: 632).

2  Die Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie in Metz fand vom 5. bis 9. August 1901 statt ( Jahresbericht 1902: 57). Die den Teilnehmern vom Museum der Stadt Metz gewidmete Schrift ( Keune 1901 ) schenkte Hein der Bibliothek der AG ( Sitzungsberichte 1901: [123]).

3  Anton Heitzenberger der Ältere (1856-1930) war Besitzer des Hotels mit Gasthof "Zum goldenen Löwen" in Spitz, welcher um 1890 errichtet wurde und eine beliebte Anlaufstelle für Wachaugäste war ( Klepoch 2007: 120). Hein kannte Heitzenberger möglicherweise von einer der zahlreichen Exkursionen, an denen er teilnahm.

4 In der vorliegenden Edition wird diese mit dem hier edierten Brief veröffentlicht. In Egger/Oberpeilsteiner 2016 wurde die Karte separat ediert.

5  Johann Ziskal (geb. 1858 oder 1859) war nach dem Militärdienst und einer Tätigkeit als Aushilfs-Gepäcksträger bei der k.k. Westbahn (Archiv für Wissenschaftsgeschichte im Naturhistorischen Museum Wien, Intendanzakten 1889, Z. 650/1889) ab 1889 als provisorischer Hausdiener an der anthropologisch-ethnographischen Abteilung des k.k. naturhistorischen Hofmuseums angestellt und mit Aufsichts- und Reinigungsdienst betraut ( Jahresbericht 1889: 101). 1903 wurde er zum Hilfspräparator befördert ( Jahresbericht 1904: 4).

6  Heute Milotice bei Pelhřimov.

7  Hugo Schuchardt lieferte für die MAGW keinen eigenständigen Beitrag mehr über Fischerei. 1906 veröffentlichte er eine mehrseitige Rezension (Schuchardt 1906) von Sirelius' Werk mit dem Titel "Über die Sperrfischerei bei den finnisch-ugrischen Völkern. Eine vergleichende ethnographische Untersuchung" ( Sirelius 1906 ).

8  Die Daubel ist ein quadratisches Hebenetz, das auf den Flussgrund abgesenkt und nach einiger Zeit wieder aufgehoben wird, entweder vom Boot aus per Hand oder vom Ufer aus über eine Seilwinde per Kran. Die Daubelfischerei wird in Österreich vorwiegend an der Donau und an den Grenzstrecken von Thaya und March ausgeübt (vgl. Spindler 1997: 95).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04519)