Wilhelm Hein an Hugo Schuchardt (09-04512)

von Wilhelm Hein

an Hugo Schuchardt

Floridsdorf

08. 12. 1900

language Deutsch

Schlagwörter: Verein der Geographen an der k.k. Universität Wien Universität Breslau Universität Prag Vergleichende Sprachwissenschaft Universität Graz Universitätsbibliothek Graz Grazer Tagespost Anthropologische Gesellschaft in Wienlanguage Sanskritlanguage Albanisch Yamasaki, Naokata Zdekauer, Alfred Meyer, Gustav Fischer, Adolf Japan Paris Acham, Karl (Hrsg.) (2009) Meyer, Gustav (1891) Meyer, Gustav (1885)

Zitiervorschlag: Wilhelm Hein an Hugo Schuchardt (09-04512). Floridsdorf, 08. 12. 1900. Hrsg. von Elisabeth Egger und Susanne Oberpeilsteiner (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5158, abgerufen am 05. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5158.

Printedition: Egger, Elisabeth; Oberpeilsteiner, Susanne (2016): "Ich werde mir erlauben, Ihnen am Montag, den 5. d. M., um 10 Uhr Vormittags mit meiner Frau einen Besuch zu machen und Ihnen dann die Pariser Sichel zu überreichen". Die Korrespondenz von Wilhelm und Marie Hein mit Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 85., S. 57-130.


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Floridsdorf, 8/12 1900.

Hochverehrter Herr Hofrath!

Da Herr Dr. Naokata Yamasaki am 13.d.M. im Geographen-Verein an der Universität einen Vortrag über seinen Besuch in den Ureinwohnerdörfern von Formosa ( Taiwan) halten wird,1 so werde ich bei dieser Gelegenheit mit ihm über Ihre Angelegenheit sprechen. Er hat mir gegenüber nur bedauert, dass er von der Fischerei nichts versteht.

Haben Sie an Herrn Dr. Zdekauer geschrieben? 2 Wenn Sie ihm eine Anleitung geben, so wird er sicher Alles thun, was sich thun lässt. Er geht übrigens vom Amur über Japan in die Südsee.

Für Ihre ganz außerordentlichen Bemühungen in Bezug auf G. Meyer3 sage ich Ihnen den herzlichsten Dank!

Ihr allzeit treuergebener
W. Hein

NB. Herr Adolf Fischer, der das Buch über Formosa geschrieben hat,4 kommt nächste Woche nach Wien und reist demnächst wieder nach Japan ab. Vielleicht könnten Sie ihn für Ihre Sache interessiren? Er ist ein sehr lieber Mann, den ich in Paris kennengelernt habe. Auch er nimmt an allen ethnologischen Fragen lebhaftes Interesse. Wenn Sie ihm schreiben, bitte ich den Brief an die Anthropol. Gesellsch. (Wien I. Burgring 7) zu richten.

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1 Im Bericht des Vereins der Geographen an der Universität Wien über das Vereinsjahr 1900/01 ist am zweiten Vereinsabend, am 15. Dezember 1900, ein Vortrag von Naokata Yamasaki über die "Anthropogeographie auf Taiwan" dokumentiert ( Verein der Geographen an der k.k. Universität Wien 1903: IV ).

2 Im Nachlass Schuchardts findet sich keine Korrespondenz von Zdekauer.

3 Gustav Meyer (1850-1900), Linguist, Indogermanist, studierte ab 1867 an der Universität Breslau klassische Philologie. Von 1871 bis 1874 unterrichtete Meyer als Gymnasiallehrer in Gotha und Prag und wurde 1875 Privatdozent für vergleichende Grammatik der griechischen und lateinischen Sprache an der Universität Prag. Ab 1877 war er außerordentlicher Professor an der Lehrkanzel für Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Graz, ab 1881 Ordinarius. Aufgrund einer schweren Erkrankung musste er seine Professur 1897 aufgeben. Meyer erlangte große Bedeutung in der Erforschung des Albanischen und beschäftigte sich mit der volkskundlichen und literarischen Überlieferung des Balkan, aber auch der Alpenländer (vgl. Lochner von Hüttenbach 2009: 479-480; Meyer 1901; Katona 1900 ) und war von 1885 bis 1892 Mitglied der AG ( Verhandlungen 1885: [4]; Sitzungsberichte 1892: [40]). Die an Schuchardt gerichtete Korrespondenz Meyers aus den Jahren 1878 bis 1897 befindet sich im Nachlass Schuchardts (B 07160-B 07183). Ein Gegenbrief von Schuchardt an Meyer befindet sich im Nachlass Meyers in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Graz mit der Signatur Ms 1766/223. Katona(1900: 220) schreibt in seinem Nachruf für Meyer, dass Schuchardt "den Verewigten aus langjähriger Freundschaft recht gut gekannt […] hat". Ebenda erwähnt Katona, dass Meyer im Einvernehmen mit Schuchardt 1882 eine Folklore-Gesellschaft in Graz gründen wollte, dass dieses Bestreben aber nicht über die konstituierende Sitzung hinauskam. In einem gemeinsamen, mit "Folklore" betitelten und mit "S. M." signierten Feuilletonbeitrag in der Grazer Tagespost vom 22. Juni 1882 rezipierten die beiden den von William J. Thoms 1846 in der Londoner Wochenschrift The Athenaeum erstmals gebildeten Begriff "Folk-Lore" im Sinne von all dem, "was das äußere und innere Leben des Volkes in seinen verschiedensten Richtungen ausmacht, seine Sagen, Märchen und Lieder, seine Spiele und Tänze, seinen Glauben und Aberglauben, seine Rechtsanschauungen, seine Bräuche und Sitten, seinen Humor und seine Philosophie." ( Meyer/Schuchardt 1882: 1) Sie betonten die Inklusion der Folklore und riefen dazu auf, dass jedermann innerhalb seines Interessengebietes einen sammelnden und dokumentierenden Beitrag leisten könne und solle. Meyer führte in seinem ersten Band der "Essays und Studien zur Sprachgeschichte und Volkskunde" unter dem Titel "Folklore" (Meyer 1885) diesen Feuilletonbeitrag weiter aus und bemängelte, dass in Deutschland und Österreich die systematische und methodische Pflege der Folklore im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stagniere. In Österreich würden die Bemühungen der AG um ethnographische Fragestellungen in die richtige Richtung gehen, er sei jedoch der Ansicht, "daß die Gründung von Vereinen für Volkskunde mit mehr oder weniger begrenztem Umfange ihres Wirkungsgebietes das beste Mittel ist, um in größerer Ausdehnung Material zusammen zu bringen. Eine periodische Veröffentlichung, die ein solcher Verein dann herauszugeben hätte, wäre die Sammelstelle für diese Materialien." ( Meyer 1885: 152-153) Diese Zeitschriften müssten wissenschaftlich sein und methodische Untersuchungen, die zugleich historisch und vergleichend sind, durchführen (vgl. Meyer 1885: 153-154). Mit dieser programmatischen Schrift zu Sammeln, Erforschen und Veröffentlichen von mündlichen und schriftlichen Überlieferungen antizipierte Meyer bereits partiell die 1894 erfolgte Gründung des Vereins für österreichische Volkskunde in Wien, der in seinem Gründungsaufruf "[d]ie Mittel zur Pflege der österreichischen Volkskunde […] in der Herausgabe einer möglichst oft erscheinenden Zeitschrift und in der Anlegung von Sammlungen volksthümlicher Gegenstände aus allen Gauen Österreichs" erkannte ( Haberlandt 1896: 22).

4 Adolf Fischer (1856-1914), Schauspieler, Privatgelehrter, Kunstsammler, wurde als Sohn eines Industriellen in Wien geboren. 1892 führte ihn eine Reise erstmals nach Japan, dessen Kunst ihn tief beeindruckte und seine Sammelleidenschaft weckte. Ab 1896, nun in Berlin wohnhaft, präsentierte Fischer die erworbenen Objekte in seiner Privatwohnung. Von 1897 bis 1899 unternahm er eine zweite große Asienreise, die Sammlungen wurden in der VI. Ausstellung der Wiener Sezession im Jänner und Februar 1900 in Wien gezeigt – vermutlich diente Fischers Besuch, den Wilhelm Hein ankündigte, der Vorbereitung dieser Ausstellung. Im selben Jahr veröffentlichte er die hier genannte Arbeit mit dem Titel Streifzüge durch Formosa ( Fischer 1900 ) und hielt bei einer Versammlung der AG am 17. Dezember einen Vortrag "[ü]ber die Ureinwohner Formosas" ( Sitzungsberichte 1900: [215]). Von 1904 bis 1907 war Fischer wissenschaftlicher Sachverständiger an der deutschen Gesandtschaft in Peking und konnte seine Privatsammlung kontinuierlich erweitern. Das von ihm geplante Museum für ostasiatische Kunst wurde nach zweijähriger Bauzeit 1913 in Köln eröffnet (vgl. o.A. o.J.b ).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04512)