Michael Haberlandt an Hugo Schuchardt (05-04300)
an Hugo Schuchardt
14. 11. 1911
Deutsch
Schlagwörter: Dankschreiben Publikationsversand Primo Congresso di Etnografia Italiana 1911 Persönliche Treffen Volkskundemuseum Wien 50. Versammlung deutscher Schulmänner und Philologen (Philologentag) in Graz (1909) Wörter und Sachen [Zeitschrift] Verein für Volkskunde Universitätsbibliothek Graz Spindel Haspel Küchenböhmisch Meringer, Rudolf Schuchardt, Hugo (1911) Schuchardt, Hugo (1911) Meringer, Rudolf (1911) Meringer, Rudolf (1909) Schuchardt, Hugo (1909) Schuchardt, Hugo (1908) Schuchardt, Hugo (1912) Schmitt, Christian (2001)
Zitiervorschlag: Michael Haberlandt an Hugo Schuchardt (05-04300). Wien, 14. 11. 1911. Hrsg. von Elisabeth Egger und Kathrin Pallestrang (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5142, abgerufen am 03. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5142.
Printedition: Egger, Elisabeth; Pallestrang, Kathrin (2016): Affinités entre romanistes : lettres de Camille Chabaneau à Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 85., S. 25-56. http://unipub.uni-graz.at/gls/periodical/pageview/1572464.
WIEN, 14. XI 1911
Hochverehrter Herr Hofrat
Für zwei mich sehr interessierende gütige Zusendungen1 habe ich Ihnen herzlichsten Dank zu sagen, hochverehrter Herr Hofrat. Was Ihre Abwehr der M.schen Angriffe2 betrifft, so wächst der Groll gegen dergleichen Vorkommniße in der Wißenschaft hier in unsern Kreisen allgemein |2| bis zu einem früher oder später zu gewärtigendem allgemeinen Ausbruch gegen M. Laßen Sie sich Ihre kostbare Muße und Stimmung durch dergleichen Pathologien nicht stören!
Ich war im Oktober in Rom, besichtigte die dortige ethnografische Ausstellung aus Italien und habe ausserordentlich viel gelernt.3 Darüber hoffe ich, wird es mir vergönnt sein, in Bälde mit Ihnen hochverehrter Herr Hofrat |3| zu sprechen. Ich komme zur Joanneumsfeier4 nach Graz und bitte Sie ganz ergebenst um Gelegenheit, mit Ihnen zusammenkommen zu können. Ich beabsichtige eine ethnogr. Typensammlung aus Italien zusammen zu stellen, zu welcher hübsche Anfänge schon vorhanden sind, ebenso eine französische5 u. s. w. und bedarf dringendst vor Allem Ihres mir maßgebenden Rates.6 Ich hoffe, diese Sache |4| wird Ihr gütiges Interesse finden und fesseln.
In ausgezeichneter Verehrung
ergebenst
hochverehrter Herr Hofrat
Ihr
Prof
DrMHaberlandt
1 Es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit um folgende Schriften: um ein Separatum – Schuchardt, Hugo (1911a). Cose e parole. In Primo congresso di etnografia italiana. Rassegna contemporana IV (Roma, 19-24 ottobre 1911), 3-10 –, das sich unter der Signatur VKM-2184 im Bestand der Bibliothek des Volkskundemuseums Wien befindet, sowie um eine Streitschrift – Schuchardt, Hugo (1911b). Gegen R. Meringer. Graz: Eigenverlag –, die weder in Bibliothek noch Archiv des Museums aufgehoben wurde. Schuchardt hatte jedoch die Empfänger dieser Streitschrift – u.a. Michael Haberlandt – auf einem Exemplar, das sich heute in seinem Nachlass befindet, notiert.
2 Noch im Jänner 1908 verfassten Meringer und Schuchardt im Vorfeld der 50. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner im September 1909 in Graz einen gemeinsamen Aufruf zu einem ersten Kongress für sachliche Volkskunde, aber bereits im Herbst desselben Jahres kam es im Umfeld der Gründung der Zeitschrift Wörter und Sachen ob des Primats bei der Titelfindung und der Definition von Kernbegriffen wie Sachen und Dinge zum völligen Bruch (vgl. Meringer 1911; Schuchardt 1911b; Lauffer 1909 ; Meringer 1909; Schuchardt 1909; Schuchardt 1908). Schuchardt veröffentlichte seinen programmatischen Beitrag "Cose e parole" (Schuchardt 1911a) bzw. "Sachen und Wörter" (Schuchardt 1912) in einer relativ späten Phase der Auseinandersetzung. Für eine ausführliche Darstellung der Begründung und Entwicklung der Forschungsrichtung Wörter und Sachen siehe Schmitt (2001).
3 Michael Haberlandt hielt sich von 10. bis 19. Oktober 1911 in Rom auf – welche ethnographische Ausstellung er meinte, lässt sich nicht eindeutig klären. 1911 fand in Rom anlässlich der Feier des 50-Jahr-Jubiläums der Vereinigung Italiens 1861 eine internationale Großausstellung – " Le Feste Commemorative del 1911" – statt. Diese umfasste mehrere Themenschauen für bildende Kunst, Ethnographie, Architektur und Archäologie in räumlich getrennten, teilweise eigens angelegten Arealen. Die "Esposizione Regionale ed Etnografica" auf der Piazza d’Armi präsentierte in unterschiedlichen Sektionen einerseits italienische bildende Kunst, Volkskunst und Trachten ("Esposizione Etnografica"), andererseits regionaltypische rurale Gebäude samt Einrichtung und hausgewerblicher Produktion ("I Gruppi Etnografici") sowie italienische Regionen in eigens errichteten Pavillons ("Esposizione Regionale") (vgl. Comitato Esecutivo per le Feste commemorative del 1911 in Roma 1911; Esposizione Internazionale di Roma 1911). Haberlandt könnte diese Schau gemeint haben oder die ethnographische Ausstellung "Mostra dell’Agro Romano", welche durch das unabhängige Komitee der Scuole per i contadini dell’Agro Romano als Kontrapunkt zur offiziellen Veranstaltung organisiert wurde und in der Via Flaminia an der Ecke zur Viale delle Belle Arti in Rom stattfand. Sie wollte auf die ärmlichen und bildungsdefizitären Lebensbedingungen am Land rund um Rom aufmerksam machen und humanitäre Initiativen setzen, um diese Zustände ins Bewusstsein der städtischen Bevölkerung zu rücken und zu verändern (vgl. Cardano 1980 ; Nespolesi 1980 ; Puglia 1980 ). Haberlandt besuchte diese Ausstellung nachweislich und kaufte nach längeren brieflichen Verhandlungen mit dem Ausstellungskomitee Anfang 1912 Objekte an, die mit den Inventarnummern ÖMV/29.420-29.466 in den Sammlungen des Volkskundemuseums inventarisiert wurden (vgl. Archiv des Volkskundemuseums Wien, Sammlungsdokumentation, Herkunftsakt Inventarnummern ÖMV/29.420-29.466). Diese Erwerbung konnte durch eine Geldschenkung von Rudolf Trebitsch an das Museum finanziert werden.
4 Haberlandt vertrat bei der Jahrhundertfeier des Landesmuseums Joanneum in Graz am 26. November 1911 den Verein und das Museum für österreichische Volkskunde ( Haberlandt M. 1911c : 237).
5 Den Grundstock der französischen Vergleichssammlung bildete der Ankauf eines bretonischen Zimmers samt Einrichtung und dreier Trachtenfigurinen vom Musée Breton in Saint Malo durch Arthur Haberlandt im Oktober 1911. Auch diese Erwerbung, die die Inventarnummern ÖMV/27.950-28.222 umfasst, wurde von Rudolf Trebitsch vermittelt und finanziert (vgl. Archiv des Volkskundemuseums Wien, Sammlungsdokumentation, Herkunftsakt Inventarnummern ÖMV/27.950-28.222).
6 Michael Haberlandt und Hugo Schuchardt schienen sich über Fragen des Sammlungserwerbs auszutauschen. So bot Schuchardt seine Sammlung von Spinnereigeräten dem Museum zum Kauf an, möglicherweise hatte er nach dem Bruch mit Meringer sein Interesse an Teilen seiner Sammlung verloren. Im Protokoll der Ausschusssitzung des Vereins für österreichische Volkskunde vom 29. November 1911 wird dieses Angebot erwähnt und eine Erwerbung nebst anderen Sammlungen in Aussicht gestellt (vgl. Archiv des Volkskundemuseums Wien, Karton 1911, Faszikel Protokolle Verein, Protokoll Ausschusssitzung 29.11.1911). Diese Erwerbung fand aber nicht statt. Erst 1959 gingen durch eine Schenkung der Grazer Universitätsbibliothek 201 Gegenstände aus dem Nachlass Schuchardts ins Volkskundemuseum ein. Folgende Geräte zur Garnherstellung sind darunter: 60 Spindeln, 15 Wirtel, ein Spindelaufsatz, zehn Rocken, sieben Haspeln bzw. Haspelfragmente sowie drei Garnglätthölzchen (vgl. Archiv des Volkskundemuseums Wien, Sammlungsdokumentation, Herkunftsakt Inventarnummern ÖMV/63.391-63.577).