Hugo Schuchardt an Karl Luick (29-275/30-2)
von Hugo Schuchardt
an Karl Luick
Unbekannt
29. 03. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Romania (Zeitschrift) Wörter und Sachen [Zeitschrift] Zauner, Adolf Meyer-Lübke, Wilhelm Ettmayer, Karl von Cornu, Julius Schrötter, Hugo Bauer, Adolf Meringer, Rudolf Schuchardt, Hugo (1911)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Karl Luick (29-275/30-2). Unbekannt, 29. 03. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5087, abgerufen am 28. 11. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5087.
29.3.12
Lieber Freund
Ich möche Dich um Etwas bitten, was an sich das Einfachste von der Welt ist, aber doch einige Erklärungen nötig macht.
Vor kurzem bat mich A. Zauner1 für einen seitens der Romania gewünschten Bericht2, ihm Mitteilungen über mein Jubiläum zu machen. Ich sagte ihm u. A. – halb im Ernst, halb im Scherz, er dürfe, da es doch hauptsächlich auf geschichtliche Wahrheit ankomme, nicht verschweigen daß ich von aktiven österreichischen Universitätsprofessoren keine schriftlichen oder telegraphischen Glückwünsche bekommen hätte (auf diese Tatsache Andere hinzuweisen habe ich noch weiteren Anlaß gehabt). |2| Ich fügte hinzu daß Meyer-Lübke mir kurz nach meinem Geburtstag in wissenschaftlicher Angelegenheit eine Karte schrieb die weder Dringendes noch Wesentliches enthielt, aber meines Geburtstages mit keinem Worte erwähnte sodaß sie mir nur den Zweck zu haben schien die Unterlassung zu betonen. Gratulieren oder nicht gratulieren, das kann natürlich jeder halten wie er will und es wäre lächerlich sich darüber zu beklagen. Nicht gleichgültig aber sind die Beweggründe. Ich sagte mir (und auch Zauner): M.-L. hat sich entweder durch meine wissenschaftlichen Berichtigungen und Ablehnungen3 gegen mich verstimmen lassen – aber ich hielte ihn für zu klug sich das merken zu lassen – oder durch gewisse Nachrichten über mein Verhalten in der Besetzungsangelegenheit. Seither habe ich vernommen daß man mir den Vorwurf macht ich hätte Ettmayer4 „fallen lassen“. Das ist nun in jeder Hinsicht falsch, besonders da ich ihn ja aufzu- |3| stellen gar nicht in der Lage war. Allerdings erschien es mir nach den schlimmen Erfahrungen die ich in Persönlichem gemacht hatte sehr erwünscht wenn ein mir schon befreundeter und sympathischer wie Ettmayer die Professur nach Cornu erhielte, und sobald ich von dessen Absicht in den Ruhestand zu treten, vernommen hatte bat ich den Onkel E.s, den schwer kranken Hugo Schrötter5 ihn davon in seinem Interesse in Kenntnis zu setzen. Darauf schrieb mir E., da ich aber aus seinem Briefe, sowie aus einem Gespräch mit seinem Onkel die Ansicht entnahm als ob ich geradezu die Kandidatur Ettmayers verträte, erklärte ich Schrötter daß ich hierzu gar keine Berechtigung hätte, daß es sich um einen rein persönlichen Wunsch von mir handle. Nun erst kam, was Du ja wohl weißt, der Widerstand Cornus, mit dem ich bis dahin kein Wort in der ganzen Angelegen- |4| heit gesprochen hatte. Über meine Auffassung von Ettmayers wissenschaftlicher Fähigkeit habe ich ihn nicht in Zweifel gelassen und zugleich durch A. Bauer6 – ich selbst war gerade verhindert – meine Stellung seinem Onkel so gekennzeichnet: in bezug auf E.s letzte Schrift7 sei ich zwar mit Cornu einverstanden, zöge aber daraus nicht so weit gehende Folgerungen. Ich wurde über den Verlauf der Dinge stets, ohne darum zu ersuchen, unterrichtet, habe mich aber da ich weder amtlich noch privatim um meinen Rat befragt wurde, mich jedes Versuches enthalten irgend einen Einfluß auszuüben, einen schiebenden oder hemmenden. Ich denke mit meiner Nichteinmischung vollkommen korrekt und loyal gehandelt zu haben.
Ich vermute daß Meringer aus seiner schöpferischen Phantasie heraus – denn er hat ja unsere Zwiegespräche nicht belauscht – |5| eine ganz andere Darstellung meiner Rolle in dieser Sache verbreitet hat. Wenn Du das feststellen kannst, so bitte ich Dich, sie im obigen Sinne zu berichtigen, vor allem Meyer-Lübke gegenüber. Ihm auch vorzustellen wie schwer es für mich ist mit Jemandem in guten Beziehungen zu bleiben der sich so leicht durch die gefärbten Berichte eines guten Freundes gegen mich einnehmen läßt. Schon einmal habe ich mich in dieser Hinsicht über ihn zu beklagen gehabt.8
Du brauchst mir nur gelegentlich auf einer Karte mitzuteilen daß Du diese meine Bitte erfüllt hast; das Weitere braucht Dich nicht zu kümmern. – Da mir an der Sache viel liegt, rekommandiere ich diesen Brief und rechne sogar mit der Möglichkeit daß er Dich im Auslande trifft. Jedenfalls wünsche ich Dir angenehme Ferien.
Mit herzlichem Gruß
Dein
H. Schuchardt
1 Adolf Zauner (1870-1940), von 1911-39 romanistischer Ordinarius in Graz.
2 Bd. 41, 1912 der Romania enthält zwei (nicht namentlich gekennzeichnete) Würdingen (S. 156 u. 626). Auf S. 156 (Chronique): „Le 4 février a été fêté à Graz le 70e anniversaire de M. Hugo Schuchardt. L’Université de Graz a fait remettre solennellement à l’illustre linguiste une tabula gratulatoria exécutée par un artiste en renom, M. A. de Schroeter; les savants, les Académies, les Universités de toutes les parties du monde ont tenu à s’associer à cette fête par lettre ou télégramme; enfin divers travaux scientifiques ont été, à cette occasion, présentés ou dédiés à M. Schuchardt: nous en donnerons ultérieurement la liste, car tous ne sont pas encore publiés. La collaboration de M. Schuchardt à notre revue a commencé en 1873, il n’est pas sans doute un de nos volumes où ses travaux n’aient tenu leur place sous une forme ou une autre, et il a bien volulu nous dire qu’il ne considérait pas sa collaboration personnelle comme close. La direction et les collaborateurs de la Romania le prient de trouver ici, avec tous leurs vœux, l’hommage de leur admiration et de leur respect“. – Auf S. 626 werden die Schuchardt aus Anlass seines 70. Geburtstags gewürdigten Arbeiten aufgelistet, und zwar: Ernest Muret, Effets de la liaison de consonnes initiales avec s finale observés dans quelques noms de lieu valaisans, Lausanne 1912 (extrait du Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande XI) sowie L’aire clavellus d’après l’Atlas linguistique de la France, résumé de conférences faites à l'École pratique des Hautes Études par J. GILLIÉRON, Neuveville 1912.
3 Z.B. „Zu Meyer-Lübkes ,Romanischem Etymologischem Wörterbuch”', ZrP 35, 1911. 383-384. – Der vorliegende Brief markiert den Anfang einer Entzweiung zwischen Schuchardt und Luick, wie die folgende Korrespondenz dokumentiert. Schuchardt erweist sich dabei als wenig kompromissbereit.
4 Karl von Ettmayer (1874-1938) hatte 1899 bei Schuchardt in Graz promoviert und 1903 bei Meyer-Lübke in Wien habilitiert. Von 1905-11 war er Ordinarius in Fribourg, von 1911-15 Nachfolger Theodor Gartners in Innsbruck, und 1915 als Nachfolger Meyer-Lübkes in Wien. Er wurde zunächst als potentieller Nachfolger Cornus gehandelt, der 1911 in den Ruhestand trat, doch wurde statt seiner Zauner berufen.
5 Hugo Schrötter (1856-1911), Chemiker, zunächst Lehrbeauftrager in Graz, ab 1907 tit. Ordinarius. Er war ein Onkel Ettmayers mütterlicherseits.
6 Adolf Bauer (1855-1919), Althistoriker, seit 1884 a.o., seit 1891 o. Prof. in Graz.
7 Prinzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Die Verbalkomposition in der romanischen Toponomastik, Halle 1911.
8 Vermutlich in Sachen der Zeitschrift Wörter und Sachen, zu deren Herausgebern Meyer-Lübke gehörte.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek. Siehe: [Portal]/Österreichische Nationalbibliothek, "Korrespondenz Schuchardt, Hugo, 1842-1927 [VerfasserIn] ; Luick, Karl, 1865-1935 [AdressatIn]" (Sig. 275/30)