Karl Luick an Hugo Schuchardt (40-06703)
von Karl Luick
an Hugo Schuchardt
03. 12. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Meyer, Gustav Schönbach, Anton Meyer-Lübke, Wilhelm Graz
Zitiervorschlag: Karl Luick an Hugo Schuchardt (40-06703). Wien, 03. 12. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5078, abgerufen am 23. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5078.
Wien, 3. Dezember 1913
Lieber Freund,
das ist ja herrlich! Nach all dem Verdruss bekomme ich nun noch zu hören, dass meine Beschwerden gegen Dich nur ein Ausfluss meiner ,Weltfremdheit‘ seien1, und muss eine lange und sehr von oben herab gehaltene Belehrung über den Begriff Kartellträger2 entgegennehmen. Ich danke schön! Es ist mir genügend bekannt, was ein Kartellträger ist und soll, und ebenso klar, dass Du in anderer Weise an mich herangetreten bist als an jemanden, der Kartellträger sein soll. Wozu auch diesen Ausdruck vermeiden, wenn die Sache gemeint |2| ist? Und was meine angebliche ,Weltfremdheit‘ angeht so habe ich als Student mit Kartellträgern und allem was darum daran hängt allerdings nichts zu tun gehabt, auch im späteren Leben – zufällig – nichts, glaube aber doch an Feingefühl für die richtigen Umgangsformen unter reifen Männern niemandem nachzustehen, und muss mir jede Belehrung darüber nachdrücklichst verbieten. Dass Du aber jetzt, wo unser Konflikt im Begriffe war, beigelegt zu werden, in solcher Weise zu mir sprichst, zeigt mir neuerlich und in deutlichster Weise, was Dein ganzes Verhalten in dieser Sache und man- |3| ches Andere vorher mich hat erkennen lassen. Du und Gustav Meyer und Schönbach3 und vielleicht andere ältere Grazer Kollegen, die Ihr mich an meinen ersten Grazer Anfängen gesehen habt, wo ich wirklich noch etwas grün und weltfremd war, Ihr habt einen Rest einer gewissen Geringschätzung meiner menschlichen und gesellschaftlichen Qualitäten nie ganz überwunden. Das war einer der Gründe warum ich gerne von Graz weggegangen bin – ich wollte in einen Kreis treten, der mich nimmt wie ich bin und nicht nach dem beurteilt, wie ich einmal war. Dein Verhalten und namentlich Dein letzter Brief zeigt mir das Weiterbestehen dieses Zustandes in ganz über- |4| raschender Stärke. Um Meyer-Lübkes Meinung hast Du Dich lebhaft bemüht, obwohl er Dir menschlich ziemlich ferne steht; um die meinige hast Du nicht einmal gefragt, obwohl Du mich Freund nennst. Und jetzt wo ich Dich darauf hinweise, äusserst Du nicht das geringste Verständniss für dies Missverhältniss, sondern betonst anfangs den Altersunterschied zwischen uns (obwohl der zwischen Dir und M.L. ungefähr der gleiche ist!) und suchst mich nun zu belehren, wie ehrenvoll es sei, Kartellträger zu sein.
Aber jetzt habe ich genug! Jetzt richte ich an Dich dieselbe Bitte, die Du voriges Jahr mir gegenüber ausgesprochen hast: die Bitte, diese Korrespondenz nicht weiter zu führen.
Mit Gruss
K. Luick
1 Auch dieses Schreiben ist nicht überliefert.
2 Begriff aus dem Bereich des Duells: Ein Beleidigter fordert den Beleidiger zum Duell, tut dies aber nicht persönlich, sondern schickt ihm einen Kartellträger, den er unter seinen Standesgenossen auswählt. Der Kartellträger fungiert dann häufig auch als Sekundant. Luick nimmt Schuchardt diesen Ausdruck übel, weil er sich und seine Meinung, wie er im folgenden darlegt, als nicht ernst genommen empfindet. Es ist daran zu erinnern, dass Schuchardt in Jena (Corps Thuringia) und Bonn (Corps Hansea Bonn) „aktiv“ war.
3 Gustav Meyer (1850-1900), Indogermanist und Albanologe in Graz, bis zum Zerwürfnis über lange Jahre Schuchardts Wohnungsnachbar und Freund in der Brandhofgasse; Anton Schönbach (1848-1911), Germanist in Graz; beide in etwa Altersgenossen Schuchardts, wohingegen Luick vom Jg. 1865 war.