Karl Luick an Hugo Schuchardt (38-06701)

von Karl Luick

an Hugo Schuchardt

Wien

19. 11. 1913

language Deutsch

Schlagwörter: 50. Versammlung deutscher Schulmänner und Philologen (Philologentag) in Graz (1909) Zwierzina, Konrad Pogatscher, Alois Graz

Zitiervorschlag: Karl Luick an Hugo Schuchardt (38-06701). Wien, 19. 11. 1913. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5076, abgerufen am 16. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5076.


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Wien 19/1 Gatterburgg. 6
19. Nov. 1913

Verehrter Freund,

Entschuldige gütigst, dass ich den Empfang Deines Schreibens vom 9. d. M.1 nicht früher bestätigt und Dir für Deine Mitteilungen gedankt habe: die Wogen der Arbeit und freilich auch der Geselligkeit gehen manchmal hoch.

Nach Deinen Mitteilungen möchte ich vor allem zwei Dinge feststellen.

1) Die Äusserung, welche nach Deinen Worten bei Zwierzina die Ursache, u. z. die einzige Ursache für Dein Verhalten war, nämlich die Bemerkung, Du hättest Dich „zu |2| weit vorgewagt“, ist nicht gefallen. Wenn ich sagte, ich wäre „erstaunt gewesen, dass Du in einer Fakultätssache so sehr in den Vordergrund tratest“, so ist das etwas wesentlich Anderes und ausserdem bezog sich diese Bemerkung, soviel ich mich erinnere, auf die Zeit, bevor ich Deine Darstellung des Verlaufes der Angelegenheit erhalten hatte, wo ich also Deinen Standpunkt noch nicht kannte[An Ende der Seite: + Daher ,ich war erstaunt‘ und nicht ,ich bin‘!]

2) Du giebst zu, dass ich nach dem Wortlaut Deines letzten Briefes auf ein Verhalten, wie Du es mir gegenüber gezeigt hast, nicht gefasst sein konnte, dass Dein Verhalten mit Deinem letzten Brief |3| nicht ganz übereinstimmt.

Da Du nun bezüglich des ersten Punktes (jener beanstandeten Äusserung) auch anderen, mindestens Zwierzina, gegenüber Dich im selben Sinne geäussert hast wie mir gegenüber und da Dein Verhalten an jenem Sonntag Zeugen hatte, gedenke ich jene beiden Feststellungen auch Anderen, vor allem Zwierzina gegenüber, zu wiederholen. Um nicht bei Anderen in falschem Licht zu stehen und zur Steuer der Wa[h]rheit muss ich diesen Schritt unternehmen. Um völlige Klarheit zu schaffen, teile ich Dir dies ausdrücklich mit. Übrigens habe ich diesen Schritt bereits in meinem letzten Briefe angekündigt.

|4| Im Übrigen hätte ich noch mancherlei auf Deinen Brief zu erwidern. Es ist aber vielleicht besser, den Zwist nicht zu sehr auszudehnen. Nur eine wenige Bemerkungen kann ich mir nicht versagen. Ich habe keineswegs eine ,Begutachtung‘ geben wollen, keineswegs ,Berichtigungen‘ von Deiner Seite ,abgelehnt‘ (wie übrigens auch M. L. nicht), sondern vielmehr meine Meinung auf Grund Deiner eigenen Darstellung mir gebildet. Da es sich um heikle Dinge gehandelt hat, musste ich Deine Worte genau abwägen. Darin ein Streben zu sehen, Dich in Deine eigenen |5| Worte zu verstricken, ist mir unverständlich. Jedenfalls lag mir ein solches Streben ganz fern.

Seitdem ich von Graz weg bin, habe ich Dich, wenn ich nicht irre, zweimal besucht, das eine Mal aus Anlass des Philologentages2. Im vorigen Jahr Dich zu besuchen, unterliess ich absichtlich: ich wollte einige Zeit nach jener unseligen Korrespondenz verstreichen lassen. Heuer aber, nach jener Szene bei Zwierzina, Dich um weitere Aufklärungen persönlich zu ersuchen, war mir unmöglich, weil ich am Montagnachmittag abreiste und mich für den Vormittag bereits bei Pogatscher angekündigt hatte. |6| Ausserdem war ich von jener Szene her noch so erregt, dass ich vielleicht doch nicht die Fassung bewahrt haben würde. Du suchst freilich die Sache als geringfügig hinzustellen. Aber versetze Dich nur einmal in die Lage, dass Dir jemand gesagt hätte: ich weiss nicht, ob ich Dir die Hand geben kann: wie wärest Du da aufgeschäumt! Ich bin ja freilich mehr als zwanzig Jahre jünger als Du, aber schliesslich doch auch schon nahezu fünfzig. Hättest Du im Jahre 1890 etwa eine solche Bemerkung ruhig hingenommen, auch wenn sie von einem zwanzig Jahre Älteren |7| gekommen wäre?

Doch nun genug! Ich wünschte, dieser Zwischenfall würde bald völlig verblassen! Denn ich habe unsere Beziehungen als etwas sehr Wertvolles immer überaus hoch geschätzt.

Mit den besten Grüssen

Dein ergebener

K. Luick


1 Nicht erhalten.

2 Der Grazer Philologentag fand im Jahr 1909 statt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 06701)